Ingolstadt
Die engste Touristenattraktion der Stadt

Neues über den ältesten Karzer Deutschlands: Bauforscherin entlockt dem Georgianum viele Geheimnisse

30.06.2020 | Stand 02.12.2020, 11:04 Uhr
Kein anheimelnder Ort: INKoBau-Geschäftsführer Nicolai Fall im Karzer des Georgianums. −Foto: Hammer

Ingolstadt - Vermutlich waren mal wieder die Protestanten an allem schuld.

 

Es wäre nicht das erste Mal gewesen seit Martin Luthers ketzerischem Thesenanschlag zu Wittenberg 1517. Seine Hammerhiebe auf die Tür der Schlosskirche brachten das Heilige Römische Reich zum Beben. Der Streit über den wahren Weg zur Gnade Gottes gewann an Giftigkeit. Sogar im beschaulichen Herzogsstädtchen Ingolstadt kam es zu Schlägereien unter Studenten der Hohen Schule. Im Jahre des Herrn 1518 und wieder anno 1520 sollen sich Anhänger der wahren Konfession mit Anhängern der falschen Konfession (alles Glaubenssache) hart in die Haare geraten sein. Vielleicht wurde der Universitätsleitung das Gezänk irgendwann zu viel und sie beschloss aus diesem Grund, zur Durchsetzung von Zucht und Ordnung in das Georgianum, jenes palastartige Studentenwohnheim gegenüber der Hohen Schule, nachträglich einen Arrestraum für undisziplinierte Zöglinge einzubauen, einen so genannten Karzer. Sie schufen damit eine Sehenswürdigkeit für das Ingolstadt unserer Tage.

Der kleine Raum unter einem niedrigen Gewölbe, der im Zuge der Sanierungsvorbereitung im Georgianum erst vor Kurzem entdeckt wurde, könnte - wie im Januar berichtet - der älteste bekannte Karzer Deutschlands sein, nachweislich schon in den 1540er-Jahren mit zu bestrafenden Studenten belegt. Die Diplomingenieurin Eva Willberg ist tief in diese lange unbeleuchtete Sphäre der Ingolstädter Universitätsgeschichte vorgedrungen. Sie leitet ein Büro für Bauforschung und untersucht das Georgianum im Auftrag der INKoBau GmbH wissenschaftlich-gründlich Raum für Raum, Fenster für Fenster, Balken für Balken. Willberg betreibt eine Art Gebäudearchäologie, allerdings auch auf der Basis schriftlicher historischer Quellen. Am Dienstag berichtete sie im Aufsichtsrat der INKoBau euphorisch über ihre neuen Erkenntnisse, die sie in dem Baudenkmal aus dem späten 15. Jahrhundert zutage gefördert hat. Ihre Begeisterung beseelte bald auch die Stadträte im Gremium.

Willberg erläuterte ihre Vermutung, dass der nachträgliche Einbau des Karzers in dem 1494 von Herzog Georg gestifteten Kollegiengebäude auch mit den "schweren Krawallen" um 1520, also kurz nach dem Beginn der Reformation, zusammenhängen könnte, die in alten Akten erwähnt sind. Die meisten Karzer in Deutschland stammten aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, berichtete sie. Der wesentlich ältere in Ingolstadt sei der vierte, den sie erforscht hat. "Ein absolutes Highlight! "

Kein anheimelnder Ort: klein, eng, mit winzigem Fenster. Hier saßen die Studenten, oft erst 15, 16 Jahre alt, bis zu drei Tage lang. Das lässt sich mit Hilfe der Stundenangaben rekonstruieren, die Insassen mit einem Nagel in Holzbalken ritzten. Einige der angehenden Akademiker verewigten sich mit ihrem Namen. Ein Asperger etwa, der laut Matrikelbuch der Hohen Schule 1541 eingeschrieben wurde. Auch den Namen eines Herrn Zwack hat die Bauforscherin im Karzer entdeckt. Es könnte sich um einen Mitbegründer des sagenumwobenen Illuminatenordens und späteren Regierungspräsidenten handeln, der als junger Mann im Karzer eine Weile die Wände anschauen musste. Hier zu sitzen, "war wirklich eine Strafe", sagte Willberg. Sie hat einen lateinischen Satz entziffert, der bedeutet: "Er blieb hier" - dann folgt eine eingeritzte Stundenzahl. "Die Studenten sprechen zu uns! Das ist einfach wunderbar! "

Der älteste Karzer Deutschlands könnte Ingolstadt eine Touristenattraktion von Rang bescheren- das erkannten die Aufsichtsratsmitglieder sofort, eine sehr beengte allerdings. "Mengen bringt man da kaum rein", bemerkte Bürgermeisterin Dorothea Deneke-Stoll (CSU). Der Karzer soll aber nach der Sanierung "den Stellenwert haben, den er verdient". Barbara Leininger (Grüne) sähe es ungern, wenn das düstere Loch in der touristischen Wahrnehmung der Stadt Größeres überstrahlen würde: "Die Leute sollen nicht nur wegen des Karzers nach Ingolstadt kommen. Es sollte schon die Geschichte der Hohen Schule im Vordergrund stehen. " Die geplanten Kosten der Sanierung betragen derzeit rund 17,8 Millionen Euro, davon schießt der Bund 5,7 Millionen zu. Man liege insgesamt im Rahmen, berichtete INKoBau-Chef Nicolai Fall auf Anfrage.

Willberg dankte ihm "für die gute Zusammenarbeit" und der Stadt Ingolstadt für die Gelegenheit, in die Erforschung des Georgianums "richtig einsteigen zu können". Sie hat noch weitere Kuriosa entdeckt. Auch die Zeit nach 1800, da im Georgianum Bier gebraut wurde, lässt sie schwärmen. Eva Willberg wird wieder berichten.

DK