Die Ein-Dollar-Brille

Ein Erlanger will den Ärmsten der Welt zur Klarsicht verhelfen

05.12.2014 | Stand 02.12.2020, 21:54 Uhr
Martin Aufmuth (l.) in Malawi mit seiner Erfindung. Die Leute freut's offenisichtlich. −Foto: Wolfram Cüppers

Erlangen (DK) Sie schaut nicht nur gut aus. Sie kann auch die Welt verändern: die Ein-Dollar-Brille. Mit der Sehhilfe will Martin Aufmuth aus Erlangen den ärmsten Menschen die Augen öffnen.

Martin Aufmuth hat sich ganz schön was vorgenommen. 150 Millionen Menschen auf der Welt will der 40-Jährige eine Ein-Dollar-Brille verpassen. „Das ist meine Brillen-Fabrik“, sagt der verheiratete Familienvater und platziert eine kleine Holzkiste auf dem Küchentisch. Er stellt eine Tafel mit Sehzeichen auf das Klavier, das gut und gerne vier Meter entfernt an der Wohnzimmerwand steht. „Lesen Sie mal die erste Reihe vor!“

Mit ein wenig Fantasie kann man das erste Symbol erkennen, das wie ein auf dem Rücken liegendes „E“ aussieht. Mit jeder Zeile wird es schwieriger. Irgendwann verschwimmen die Figuren zu schwarzen Farbklecksen. „Wir machen den Sehtest ohne Buchstaben, weil viele nicht lesen können. Sie müssten so minus drei Dioptrien haben“, sagt Martin Aufmuth fast so überzeugend wie ein Augenarzt. Dann zaubert er aus dem Holzkasten einen silberglänzenden Draht hervor. „Den müssen wir jetzt auf die richtige Länge kürzen und daraus danach das Gestell formen“, sagt er und zeigt auf drei Farbpunkte, die sich in kleinen Abständen nebeneinander auf dem Deckel der „Fabrik“ befinden. „Bei Erwachsenen nehmen wir den roten Punkt in der Mitte. Der entspricht einem Augenabstand von 63 Millimetern.“ Für Kinder gibt es einen gelben Punkt daneben. Brillenbau nach Schablone. Die Gläser bestehen aus Polycarbonat und sind bereits fertig geschliffen. „Ein Freund hat eine Firma in China. Er macht uns die Gläser. Wir müssen erst nach der Lieferung bezahlen“, erzählt er und zeigt auf den Setzkasten mit den Linsen in den unterschiedlichen Stärken. „Wir haben Gläser von -6 bis +6 Dioptrien in Schritten von 0,5 Dioptrien.“ Mehr Zutaten braucht Aufmuth nicht für seine Brillen aus dem Baukasten. Keine teuren Schleifmaschinen oder elektrischen Strom.

Mit relativ wenigen Handgriffen entsteht aus dem Draht ein stabiles Gestell. „Wir bilden die Leute vor Ort an der Biegemaschine zu Brillenproduzenten aus, sodass sie von der Herstellung und dem Verkauf der Brillen leben können“, erzählt er. „Ich habe nach einer Idee gesucht, mit der man mit einer kleinen Sache etwas Großes bewirken kann.“

"Dann tu' doch was"


Er erinnert sich an den Moment, als er vor zwei Jahren erfuhr, dass es keine erschwinglichen Brillen für Menschen unterhalb der Armutsgrenze gibt. „Das kann nicht sein“, dachte sich Aufmuth und erfuhr von Initiativen, die ausgemusterte Brillen wie Altkleider zu den Armen schicken. Für alte Brillen eine neue Nase zu finden, sei schwer. Für Millionen Menschen unmöglich. „Wenn 150 Millionen Menschen wegen ihrer Sehschwäche nicht lernen und nicht arbeiten können, dann resultiert daraus ein Einnahmeausfall von 120 Milliarden Dollar pro Jahr.“ Genauso viel werde weltweit für Entwicklungshilfe ausgegeben. „Das ist der spannende Punkt: Mit einem so einfachen Teil wie dieser Brille, können wir die Entwicklungshilfe verdoppeln.“ Und zwar bei Menschen, die sie am notwendigsten brauchen: arme, sehbehinderte Menschen in Entwicklungsländern. „Früher habe ich gejammert und gesagt: ,Man müsste was tun.’“ Eines schönen Tages habe Jelena, seine Frau, zu ihm gesagt: „Dann tu doch was!“

Das war vor etwa acht Jahren. Er wurde aktiv, dachte lange nach und kam schließlich auf die verrückte Idee, mit einer „Luftballon-Aktion“ eine Million zu sammeln. „Am Ende ist zwar nur eine halbe Million zusammengekommen. Aber ich habe gemerkt, dass ich etwas bewegen kann. Das war ein Schlüsselerlebnis für mich.“ Danach arbeitet er zunächst weiter als Lehrer und ruft ein Schulprojekt zur CO2-Reduzierung ins Leben.

Dann hat er den Geistesblitz mit der günstigen Brille. Seinen Job als Lehrer hat er vor Kurzem an den Nagel gehangen, um seine Brillen dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden. Keine leichte Aufgabe. Zum Glück fanden sich Mitstreiter, die von der Idee überzeugt sind.

Irgendwann hatte er die erste Brille fertig entwickelt. Da nahm er seinen Kasten unter den Arm und setzte sich ins Flugzeug nach Afrika. Plötzlich steht er mitten in Uganda. Hunderte Menschen stehen tagelang Schlange in der Sonne, um eine Brille kaufen zu können. Menschen wie der 80-jährige Simon, der glücklich ist, dass er dank der Brille wieder auf seinem Feld arbeiten kann.

Heute kümmert sich Martin Aufmuth wie der Manager um seine gemeinnützige Organisation. Wenn er nicht um die Welt reist und den Menschen zeigt, wie man Brillen baut, begeistert er neue Leute für sein Projekt, sammelt Spenden oder optimiert seine Brillen-Fabrik.