Ingolstadt
Die dramatischen Folgen einer "blöden Idee"

Im Mordversuchsprozess haben Gutachter die Stimmungen der Angeklagten und ihre Vorgeschichte nachgezeichnet

26.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:34 Uhr

Ingolstadt (DK) Selber möchten sie nichts zu ihren Lebensläufen sagen, doch zwei Psychotherapeuten, die als Gutachter auftreten, haben sich die beiden Angeklagten aus dem gegenwärtig am Landgericht laufenden Mordversuchsprozess (DK berichtete) bereits vor Monaten anvertraut.

Die beiden Psychiater schilderten dem Schwurgericht gestern das, was sie seinerzeit bei ihren Explorationen von den beiden jungen Männern zu deren Vorgeschichte und zum Tatablauf erfahren haben.

Wie bereits seit Beginn des Verfahrens ersichtlich, wäre es ohne den intensiven Drogenkonsum der beiden mittlerweile 27-jährigen Freunde wohl nie zum so furchtbar eskalierten Überfall auf einen gleichaltrigen Drogendealer im Juni 2017 an der Mercystraße gekommen. Der Coup sollte offenbar ausschließlich der Eigenversorgung der stark abhängigen Täter (sie sind beide weitgehend geständig) dienen, und er war wegen der (angeblich) erheblichen Benebelung und psychischen Belastung der beiden Akteure dilettantisch geplant und ausgeführt.

Bei beiden Männern, so die Gutachter, war die laufende oder bereits vollzogene Trennung von der Ehefrau mit ausschlaggebend für eine schlechte Grundstimmung und daraus resultierenden abermals gesteigerten Cannabiskonsum. Weil der Notvorrat bereits zur Neige ging und beide Kumpel auch recht klamm waren, verfiel man auf den Überfall - eine "blöde Idee", wie der jetzt wegen Beteiligung am Raub angeklagte Schreiner aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen seinem Gutachter sagte.

Dieser Deutsche mit rumänischen Wurzeln will bereits mit 14Jahren erstmals mit Marihuana in Kontakt gekommen sein; seit dem 16. Lebensjahr konsumiert er angeblich täglich Cannabisprodukte. Später sollen regelmäßig auch Amphetamine und gelegentlich auch Kokain oder Crystal im Spiel gewesen sein. Der junge Mann hat dem Psychiater gegenüber beteuert, dass der Überfall auf den Drogenkurier keinesfalls so brutal verlaufen sollte, wie er sich dann abgespielt hat. "Diese Tat ist über meinen Grenzen", soll er gesagt haben.

Der aus Bosnien-Herzegowina stammende Komplize will mit 18 Jahren an den Cannabiskonsum geraten sein - angeblich nach der vom Vater erzwungenen und für ihn überaus schmerzlichen Trennung von seiner großen Liebe, einer jungen Frau aus Deutschland. Die war dem streng muslimischen Vater (die Familie war im Zuge des jugoslawischen Bürgerkriegs 1992 nach Deutschland gekommen) als Partnerin für den Sohn nicht passend erschienen. Vielmehr soll dieser auf Geheiß des Vaters eine Ehe mit einer Bosnierin eingegangen sein.

Unter dem beständig gesteigerten Cannabiskonsum hatte mit der Zeit aber nicht nur diese Partnerschaft, sondern auch die Arbeit gelitten. Bei Audi am Band soll der junge Mann sich immer häufiger Fehler geleistet haben, bis er sich schließlich wegen eines vom Hausarzt attestierten Burnouts krank schreiben ließ und wegen Nachlässigkeiten gegenüber der Krankenkasse schließlich auch kein Krankengeld mehr erhielt.

Auch seinem Gutachter gegenüber hat sich der Bosnier, der sich wegen seines Messerangriffs auf den Dealer mit der Mordversuchsanklage konfrontiert sieht, nicht zu Einzelheiten des Tatablaufs geäußert - er machte wie in seiner Verteidigererklärung vor Gericht einen Blackout während der entscheidenden Sekunden geltend. Das Motiv für die Bluttat, so der Psychiater in seinem Bericht, könne sich der Angeklagte nicht erklären, er habe aber im Untersuchungsgespräch "authentisch schockiert" von dem Geschehen gewirkt.

Der Rechtsmediziner Prof. Randolph Penning von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität hat die Verletzungen des Opfers gestern eingehend beschrieben und interpretiert. Sowohl ein etwa zehn Zentimeter tiefer Stich in die Brust mit Perforation eines Lungenflügels als auch eine Arterienverletzung am rechten Unterarm waren demnach potenziell lebensbedrohlich, allerdings wegen der relativ schnellen Behandlung im Ingolstädter Klinikum und später in der Regensburger Uniklinik dann praktisch gut im Griff. Freilich, so war ebenfalls herauszuhören, hätte die Lungenverletzung bei nur geringfügig anderer Stichführung auch sehr schnell zum Tode führen können. Der Prozess wird morgen fortgesetzt.

Bernd Heimerl