Ingolstadt
Die Chance seines Lebens

01.09.2010 | Stand 03.12.2020, 3:44 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Wenn am Freitag der ERC Ingolstadt in seine neunte Saison in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) startet, dann ist die Erwartungshaltung groß. Nicht zu unrecht, scheint es. Denn die Panther haben sich auf allen Positionen verstärkt. Das macht es für ihren Trainer aber nicht unbedingt einfacher.

Greg Thomson muss schmunzeln. Zumindest für einen kurzen Moment zaubert ihm die Frage ein Lächeln ins Gesicht. Das ist auch bei einem so freundlichen Menschen, wie es der 47-Jährige ist, nicht selbstverständlich. Schließlich hat der Übungsleiter der Ingolstädter Eishockeymannschaft im letzten Testspiel vor dem Saisonauftakt nicht viel Gutes von seinen Schützlingen gesehen. Gegen Klagenfurt kassierte der ERC eine 1:3-Niederlage und offenbarte dabei einige Defizite. Das Überzahlspiel lief noch nicht rund, und in Sachen Aggressivität machten die ERC-Cracks ihrem Beinamen Panther keine Ehre. Sein Ärger ist Thomson nicht anzusehen, nur ein wenig anzuhören.
 
"Welche Baustellen gibt es noch", will der Reporter also wissen. Thomson nickt zwei Mal kurz und lächelt dann. Die Antwort ist für ihn so einfach wie in Schlittschuhen ein paar Runden über das Eis zu drehen. "Wir haben so viel Talent in der Mannschaft", sagt er und hält kurz inne. "Nur mit Talent alleine geht es nicht. Wir müssen endlich mehr Leidenschaft zeigen." Es klingt wie ein kurzer Weckruf an sein Team. Vor dem Turnier in Straubing hat Thomson ähnliches verlauten lassen. Doch die Botschaft kam bei seinen Cracks offenbar nicht an. Die Niederlagen gegen Augsburg und Nürnberg verliefen nach dem selben Muster. "Wir waren zu überheblich", blickt Thomson zurück.
 
Dabei starteten die Panther furios in die Vorbereitung. Bei einem Turnier in der Schweiz präsentierten sich die Ingolstädter in einer beachtlichen Frühform. Gegen Biel und Davos glänzte der ERC. Erst im Finale kassierten die Ingolstädter ihre erste Niederlage. Und das ohne vorher entscheidend miteinander geübt zu haben. Das Talent der Mannschaft hat offenbar auch so genügt.
 
Danach ging die Leistungskurve aber nach unten. Thomson will dem nicht zu viel Bedeutung beimessen. "Ich bin froh, wenn die Vorbereitung vorbei ist und es endlich los geht", sagt er und atmet tief durch. Einem Teil seiner Spieler geht es genau so. "Am Freitag gegen Nürnberg zählt es. Dann ist es nicht wichtig, ob wir in der Vorbereitung alle Spiele gewonnen oder verloren haben", sagt Kapitän Tyler Bouck.
 
Für Thomson beginnt am Freitag die Chance seines Lebens. Erstmals hat er von Beginn an die Fäden in der Hand. Er hat für den Job als Cheftrainer kämpfen müssen. Sportdirektor Jim Boni hatte nach der vergangenen Saison auf dem Trainermarkt freie Auswahl. Er hat sich dennoch für den ehemaligen Profi entschieden. Nicht nur wegen dessen menschlich überragender Art.
 
Als Interimslösung nach den Entlassungen von Benoit Laporte und Bob Manno hat Thomson die Mannschaft stets auf Kurs gebracht. Das haben sie in der Führungsetage sehr wohl registriert. "Wenn einer Leistung bringt, dann honoriere ich das auch", sagt Boni. Mit Thomson hat es der ERC in der vergangenen Saison ins Halbfinale geschafft. Nach dem planlosen und kauzigen Manno hat er der Mannschaft den Spaß zurückgegeben. Mit Spaß alleine ist es diesmal nicht getan. Die Panther-Leistungskurve soll möglichst von Beginn an nur in eine Richtung zeigen: nach oben.
 
"Die Liga ist so ausgeglichen wie lange nicht mehr", schätzt Thomson. Mit Ian Gordon, Marvin Degon, Colin Forbes, Christoph Gawlik, Stephan Retzer, Christian Chartier und Petr Fical hat sich der ERC erfahrenes DEL-Personal gesichert. Damit steigt auch die Erwartungshaltung. Der Halbfinaleinzug soll möglichst eine Wiederholung finden. Gleichzeitig soll erstmals nach dem Ende der Ära Ron Kennedy (2007) auch endlich wieder einmal ein Trainer eine komplette Saison auf der ERC-Bank überstehen. Um dies zu schaffen, hat Thomson den Sommer über hart gearbeitet. Er hat einen Kongress in Kanada besucht und Trainingspläne ausgearbeitet.
 
Doch eine gute Taktik allein reicht nicht. Thomson wird auch harte Entscheidungen treffen müssen. Er muss unter Umständen Spieler auf die Tribüne setzen und unzufriedene Akteure unter Kontrolle halten. Ob ihm das gelingt, wird erst der Saisonverlauf zeigen. Mit Rick Nasheim hat Boni ihm einen loyalen Assistenten zur Seite gestellt. Der Sportdirektor selbst will sich dafür im Hintergrund halten. "Ich möchte so ein Manager sein, wie ich ihn mir als Trainer immer gewünscht habe . Ins Tagesgeschäft werde ich mich nicht einmischen. Das ist Trainersache", erklärt Boni.

Trotzdem wird seinen Augen nichts entgehen. Schließlich trägt er die Gesamtverantwortung. Und er wird auch die Reißleine ziehen, wenn Thomson seine Chance nicht nutzt. Doch so weit will beim ERC im Moment niemand denken.

Mit Rich Chernomaz befindet sich ein erfahrener Übungsleiter nach dem Aus der Frankfurt Lions in der Warteschleife. Wo immer in der Liga ein Coach Probleme hat, wird sein Name die Runde machen. Mit diesem Druck muss Thomson leben. So einfach ist es dann doch wieder nicht.