Die Folgen für die Firmen
Die britischen Töchter und der Brexit

15.01.2021 | Stand 23.09.2023, 16:27 Uhr
Nebeneinander statt miteinander: Großbritannien hat die Europäische Union endgültig verlassen. −Foto: Hoslet, dpa

Durchatmen bei vielen Unternehmen: Es ist nicht zu einem "harten" Brexit gekommen. Dennoch hat der Abschied der Briten aus der EU Folgen für viele Firmen - darunter auch die großen bayerischen Automobilkonzerne, die noch nicht so recht wissen, was der Last-Minute-Deal eigentlich wert ist.

München/Ingolstadt - Noch ist das Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU nicht vollständig ratifiziert. Doch übergangsweise ist es in Kraft - und regelt seit dem 1. Januar, also dem endgültigen Ausscheiden der Briten aus der Gemeinschaft, das weitere Zusammenleben und gemeinsame Wirtschaften. Dass überhaupt noch eine Lösung zu Papier gebracht wurde, erfreut nun vor allem diejenigen Unternehmen, die von einem sogenannten harten Brexit auch hart getroffen worden wären.

BMW ist so ein Unternehmen. Der Münchner Automobilkonzern zählt schließlich zu seinen Marken gleich zwei, die auf der Insel daheim sind (siehe Infokasten). Neben den Nobel-Karossen aus dem Hause Rolls-Royce, dessen Kunden den einen oder anderen Zoll-Euro mehr sicher hätten verkraften können, stand rund um das Brexit-Chaos vor allem Mini im Fokus. Finanzvorstand Nicolas Peter plante bereits damit, dass Minis in der EU und BMW-Modelle in Großbritannien teurer werden müssen, um eventuelle neue Zölle auszugleichen. Auf Anfrage unserer Zeitung meint der Konzern erleichtert: "Wir begrüßen das Abkommen über die künftigen Handelsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich." Die Notfallpläne von BMW können also in der Schublade bleiben.

Zumindest jetzt. Denn noch sind längst nicht alle Fragen geklärt, finden sich Unbekannte in der Brexit-Gleichung: "Eine vollständige Bewertung der Bedeutung des Abkommens kann erst nach Veröffentlichung aller Details vorgenommen werden", wie eine Sprecherin unserer Zeitung mitteilt.

Auch der Ingolstädter BMW-Kontrahent Audi begrüßt gegenüber unserer Zeitung das Last-Minute-Abkommen. Ein Konzernsprecher teilt aber mit: "Wir werden die ausgehandelten Vereinbarungen und ihre Auswirkungen auf unsere einzelnen Geschäftstätigkeiten im Detail prüfen." Der britische Markt ist laut Unternehmensangaben derzeit der viertgrößte von Audi weltweit. In Europa ist er zugleich der zweitgrößte hinter dem Heimatmarkt.

Zudem wird Audi in wenigen Wochen die britische Edelmarke Bentley von Konzernmutter Volkswagen übernehmen. Damit stellen sich für die Ingolstädter plötzlich ähnliche Fragen wie für BMW. Audi betont daher, "Klarheit über die künftigen Beziehungen schaffe Planungssicherheit für den gesamten Volkswagen-Konzern und seine britische Marke Bentley Motors und ist insbesondere auch für unsere britischen Kunden wichtig".

Fakt ist: Ja, es gibt einen Vertrag. Der muss aber noch ins EU-Parlament und leichter hat der Brexit den Handel zwischen der Insel und dem Kontinent nicht gemacht. Beispiel Logistik: Zwar können britische wie europäische Speditionen auch weiterhin recht unbehelligt den Ärmelkanal queren, die Zahl der Stopps - etwa um Fracht abzuladen oder aufzunehmen - ist für britische Firmen aber beschränkt worden. Und es wird ein Zettelwust kommen. Denn der Handel bleibt grundsätzlich zollfrei, es müssen aber unzählige Formulare und Papiere vorliegen, um Waren nach Großbritannien und auch umgekehrt einzuführen. Schließlich hat das Vereinigte Königreich den Binnenmarkt der EU endgültig verlassen.

Dennoch zählt bei BMW und auch anderen Autobauern in Europa in erster Linie, dass es zu keinen neuen Zoll-Schranken und damit wohl zu keinen oder nur geringen Spannungen in den Lieferketten gekommen ist. "Die Vermeidung von Zöllen und zusätzlichen administrativen Hindernissen wird dazu beitragen, die Auswirkungen des Brexit auf unser internationales Produktionsnetzwerk und unsere Vertriebsaktivitäten zu minimieren", meint BMW dazu. Und Audi teilt mit, dass bereits seit Beginn der Brexit-Diskussion eine Taskforce stetig daran arbeitet, den Materialfluss sicherzustellen. "Nach derzeitigem Stand gibt es keine Störungen in unseren Lieferketten", meint der Audi-Sprecher. Überdies würden Audi-Modelle für Großbritannien ohnehin mit dem Schiff transportiert. Somit waren die Verkehrsprobleme rund um den Jahreswechsel auf der Straße an der Grenze zum Vereinigten Königreich kein Thema.

Aus Sicht der britischen Autoindustrie - und damit auch für in England gefertigte Minis oder Bentleys - ist das Abkommen aber nicht ganz so unkompliziert. Denn zollfrei aus Großbritannien in die EU eingeführt werden dürfen laut Brexit-Deal nur Fahrzeuge, die zu 60 Prozent und mehr aus Teilen britischer oder aber europäischer Fertigung gebaut werden. Bitter ist das vor allem für Nissan. Die Japaner haben eine Fertigung in England - nach eigenen Angaben ist man der größte Fahrzeugbauer auf der Insel. Der Konzern verwendet natürlich viele Teile, die aus Fernost kommen.

Lange wurde sogar darüber spekuliert, die Produktion des Minis könnte letztlich - auch mit einem Brexit-Deal - auf den Kontinent geholt werden. Explizit äußert sich BMW dazu gegenüber unserer Zeitung nicht, betont aber: "Die Werke Oxford und Swindon befinden sich noch bis zum 18. Januar in einer geplanten Produktionsunterbrechung über die Weihnachtszeit, in der verschiedene geplante Umbauprojekte umgesetzt werden." Unter anderem werde die Lackiererei umfangreich modernisiert. Solche Arbeiten sind kostspielig und natürlich von langer Hand geplant. Eine Verlegung der Produktion, etwa an die bayerischen Standorte von BMW in Landshut oder in Regensburg, scheint also überaus unwahrscheinlich.

DK

Christian Tamm