Des Menschen Wolf

14.05.2010 | Stand 03.12.2020, 4:01 Uhr

Zwischen Gefühl und Gewalttätigkeit: Kriegsheimkehrer Danny (Michael Stange) in "Motortown". - Foto: Schölzel

Augsburg (DK) Grellrot ist der transparente Vorhang. Er zeigt den Schattenriss eines zähnefletschenden Hundes und einen Stock. Dieser Hund ist so aggressiv wie Danny, der gerade aus dem Irak-Krieg nach Hause gekommen ist; oder besser: hätte nach Hause kommen sollen.

Denn weder kehrt der Mann zurück, der in den Krieg zog, noch findet er die Heimat vor, die er verließ. Mit "Motortown" zeigte das Theater Augsburg die Premiere eines Stücks, das den Finger in die Wunde einer Gesellschaft legt, die den Krieg ans andere Ende der Welt ausgelagert hat. Nein, es heißt ja nicht Krieg. "Wie heißt das richtig. Das ist nicht das richtige Wort. Ich brauch das richtige Wort", sagt Danny.

Landauf landab wird das Stück des britischen Autors Simon Stephens seit drei Jahren gespielt. In nur vier Tagen hat der Dramatiker das Werk im Jahr 2005 niedergeschrieben. Auslöser war der Prozess um die Misshandlung von Gefangenen, die britische Soldaten im irakischen Basra begangen und fotografiert hatten. In die vier Tage fielen auch die Anschläge, bei denen Attentäter in London 56 Menschen töteten. "Der Krieg gegen den Terror und der Krieg im Irak, der erst richtig begann, nachdem er beendet war, schreien danach, im Theater verhandelt zu werden", erklärt der Autor, demzufolge sich diese beiden Kriege in einem moralisch chaotischen Zustand bewegen.

Diesen Zustand verkörpert Danny. Der Heimkehrer ist geschunden und sehnsüchtig, will zurück in die (eingebildete) Geborgenheit der Beziehung zu seiner früheren Freundin Marley, die ihn längst verlassen und sogar Angst vor ihm hat. Zu Recht, wie sich herausstellen wird. Michael Stange zeigt zunächst einen etwas hölzernen Danny in der Begegnung mit seinem autistischen Bruder (wunderbar Tjark Bernau). Dann aber wandelt er nuanciert auf dem Grat zwischen Gefühl und Gewalttätigkeit entlang, beide scheinen eine untrennbare Einheit in Danny zu bilden, dessen Frustrationsgrenze gegen null geht. Er besorgt sich eine Waffe, wird damit scheinbar grundlos eine Frau töten, sie – wie er es kennt – in einen Leichensack packen und noch während er sie im Kofferraum herumfährt an ein Paar geraten, lasziv-mondän gezeichnet von Ute Fiedler und Philipp von Mirbach, das ihn zu einem Dreier bewegen will.

Psychologische, physische und sexuelle Gewalt, das alles packt Markus Trabusch in seine Inszenierung. Er belässt die von Stephens teils klischeehaft gezeichneten Figuren und setzt ganz auf seinen Hauptdarsteller. Und auf das Bühnenbild von Ann Poppel , das den unbestimmten moralischen Raum mit leichter Hand umsetzt: eine aufsteigende, sich leicht verjüngende Bühne, seitlich provisorisch von Wellblech begrenzt und zu einem ebenfalls unbestimmten Bild hinführend, das das Motiv des eingangs versprühten Nebels aufgreift und mit einer unterbrochenen Brücke direkt ins Nirgendwo führt.

Die Stärke von "Motortown" wird in der Augsburger Inszenierung deutlich: Weil die Kategorien von richtig und falsch in Zeiten des Krieges verwischen, weil man nicht unbeteiligt sein kann, auch wenn man selbst nicht kämpft, und weil man nicht unkorrumpiert bleiben kann, wenn man in der Hölle von Basra oder einer ähnlichen war, steht hier niemand am Pranger. Es geht um das Abbild einer Wirklichkeit, die aufgehört hat, einfach zu sein und einfache Antworten auch nicht mehr erlaubt. "Motortown" ist nicht mehr und nicht weniger als die Fortsetzung der täglichen Nachrichten mit anderen Mitteln.

Der Hund auf dem grellroten Vorhang, den Danny vom Rest der Welt trennt, wenn er bei seinem Bruder ist, erinnert weniger an Basra als an Abu Ghraib, wo zur Demütigung Gefangene an Hundeleinen gelegt wurden. Die zähnefletschende Bestie erinnert aber auch daran, dass am Ende immer der Mensch des Menschen Wolf ist.