Augsburg
Der Zustand der Welt

"Faces of Disappearance" im Augsburger H2 – Zentrum für Gegenwartskunst: Fotokünstler im philosophischen Diskurs

10.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:34 Uhr

Foto: DK

Augsburg (DK) Ein Mann in einem Garten. Stirnglatze, Drei-Tage-Bart, aufgeknöpftes Hemd, starre, blicklose Augen. Unter seinem Porträt ein kleineres Bild. Ein Sonnenuntergang: violetter Himmel um eine winzige orange-gelbe Kugel. Die Welt driftet schon ins Schattenreich ab. Daneben ein kurzer Text. Die drei Elemente gehören zusammen, stammen aus einer Serie der französischen Konzeptkünstlerin Sophie Calle, die sie 2010 unter dem Titel „La Dernière Image“ (Das letzte Bild) veröffentlichte. Dafür sprach sie in Istanbul mit Menschen und bat sie zu beschreiben, was sie als Letztes sahen, bevor sie erblindeten. Diese Bilder setzte sie fotografisch in Szene. Der Text erklärt den Zusammenhang und erzählt auf berührende Weise vom Verschwinden.

Um das Phänomen des Verschwindens geht es in der aktuellen Ausstellung „Faces of Disappearance“ (Gesichter des Verschwindens) im Augsburger H2 – Zentrum für Gegenwart im Glaspalast, für die Kurator Thomas Elsen zehn Künstler gewonnen hat: Breda Beban, Sophie Calle, Carlos Casas, Jenna Hanson, Saodat Ismailova, Brian McKee, Natalija Ribovic, Gustavo Sagorsky, Larry Sultan und Olaf Unverzart. Jeder für sich hat einen ganz eigenen Blick auf die Welt oder besser gesagt, auf das, was ihr abhandenkommt.

Der amerikanische Fotokünstler Brian McKee etwa dokumentiert in seinen Serien Kriegsschäden in den Krisengebieten des Nahen Ostens: zerstörte Städte, aufgerissene Fassaden, eine Treppe ins Nirgendwo, Unbehaustheit. Aber stets zeugen die Aufnahmen von einer merkwürdig-melancholischen Schönheit, von einer kühlen Ästhetik. Gustavo Sagorsky richtet seinen Blick auf Details am Rand – präsentiert Stillleben aus Luftballonresten oder Glasscherben.

Olaf Unverzarts Bilderuniversen schwelgen in Weiß, Grau und Grün. Schmelzende Gletscher, Spalten, Grate, Gebirgsbäche, Kämme, Gipfel, Geröll erzählen auf abstrakte und doch sehr persönliche Weise von der Suche nach Stille im Zeitalter der Totalkommunikation, aber darüber hinaus von der Problematik der Alpen. Und Natalija Rivovic hat Beduinen in Palmyra begleitet – dort, wo die Terrororganisation „Islamischer Staat“ weltbekannte antike Kulturwerke zerstörte.

Jeder der zehn Künstler befasst sich auf seine Weise mit dem Zustand der Welt - und den Veränderungen. Das Private und das Politische, der Einzelne und die Gesellschaft, Kultur und Natur, Krankheit und Krieg – all das streifen die Künstler in ihren Interpretationen der Gegenwart. Es sind Nachrichten jenseits der Nachrichtensendungen. Eindringliche Momentaufnahmen jenseits des medialen Bilderrauschens. Poesie statt politischen Statements. Aber erst in der Zusammenschau der künstlerischen Einzelpositionen vermittelt sich dem Betrachter ein spannender Blick auf das, was in der Welt geschieht und auf das, was verschwindet.

Die Ausstellung wurde eigens für die lichten Galerieräume des H2 geschaffen. In der Auswahl ging es Kurator Thomas Elsen vor allem um die Dialogfähigkeit der Künstler, übrigens rein zufällig fünf Männer und fünf Frauen. Ihre Werke hallen nach. Wer sich auf die Ausstellung einlässt, nimmt Teil an diesem kleinen philosophischen Diskurs über das Phänomen des Verschwindens.

H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast Augsburg, bis 10. Januar 2016, Di bis So, 10 bis 17 Uhr.