Wolnzach
Der zerbrochene Stuhl vor Gericht

Nach Sprunggelenksbruch klagt Wolnzacher Wirtshausgast auf Schmerzensgeld Urteil fällt am 11. Juli

20.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:55 Uhr

Die geleimte Stuhlleiste war weggebrochen. Der Gast fiel und zog sich einen doppelten Sprunggelenksbruch zu. - Foto: Rehberger

Wolnzach/Ingolstadt (WZ) Auf einmal ist der Stuhl zusammengekracht, damit hatte der Faschingsauftakt des Zirkus Tonelli im November 2015 für einen der Ihren keine schönen Folgen: Er brach sich das Sprunggelenk. Der Fall beschäftigt jetzt das Ingolstädter Landgericht, das Urteil ist für 11. Juli angekündigt.

"Zusammenbrechen und Fallen waren eins", berichtete ein Augenzeuge, der nicht nur an besagtem Abend in dem Wolnzacher Gasthaus Nachbar des 42-jährigen Verletzten war, sondern auch tatsächlich neben ihm wohnt. "Wir haben recht blöd geschaut", gab der Mann gestern am Landgericht zu Protokoll. Der Schreck war den Beteiligten damals selbst in die Glieder gefahren. Der Zeuge und sein Nachbar waren gegen 19 Uhr etwas später zur Tonelli-Versammlung gekommen und hatten die letzten freien Stühle genommen. Kurz darauf kam schon das Essen. "Er hat ruhig gegessen", sagte der Zeuge. Sein Nachbar habe weder "rumgeruckelt", noch zu viel getrunken. Das erste Bier stand ja auch gerade erst auf dem Tisch. Da klappte eine an der Sitzfläche angeleimte Leiste mit zwei Stuhlbeinen weg.

1500 Euro Schadensersatz und 10 000 Euro Schmerzensgeld fordert der Kläger vom Wirt beziehungsweise dessen Versicherung. Rechtsanwalt Hermann Hammermaier stellte für den Kläger ausdrücklich klar: "Es geht hier eigentlich gegen die Haftpflichtversicherung, nicht gegen den Wirt selbst." Man verstehe sich gut untereinander und im Zirkusverein.

Für das Gericht steht nun die Frage im Mittelpunkt, welche Pflichten ein Wirt hat. Muss er jedes Mal, wenn oder bevor ein Gast Platz nimmt, an den Stuhlbeinen rütteln? Wie der Zeuge gestern sagte, habe es keine Anzeichen gegeben, dass irgendetwas nicht stimmte. Als der Stuhl zusammengebrochen war, stellte er aber eine für ihn auffällig nur dünne Leimspur an der Klebefläche fest. Doch vielleicht sei das ja werksmäßig tatsächlich so.

"Ein ganz klassischer Wirtshausstuhl", sagte die Vorsitzende Richterin Birgit Piechulla über das "Massenprodukt". Nach Ansicht von Klägervertreter Hammermaier "sind es alte Stühle", was für ihn eine besondere Behandlung erfordere. Der Rechtsanwalt forderte sogar einen täglichen Rütteltest. Anwältin Iris-Maria Jandel, die den Wirt vertritt, hielt dagegen, dass man das "bei keiner Wirtschaft in ganz Bayern" finden werde, dass der Wirt oder sein Personal tagtäglich die Stühle überprüfen. Alt könne ein Stuhl ja gerne sein, solange er verkehrssicher ist. Richterin Piechulla hielt den verpflichtenden Rütteltest - der Klägervertreter sprach zwischenzeitlich auch von einer "Stuhlprobe" - ebenso "für praxisfremd". Rechtlich so hohe Anforderungen an einen Gastronomen zu setzen, "da tue ich mich schwer", sagte sie.

Fraglich sei auch, wie ein Wirt das denn (ohne Verdachtsfall) wirklich erkennen solle, wenn es einen Fabrikationsfehler oder eine Schwachstelle an einem seiner Stühle gebe. Ein Fehlverhalten müsste der Kläger wegen seiner umfangreichen Beweislast zudem erst einmal in einer Kausalkette nachweisen. Der kaputte Original-Stuhl war nach dem Bruch im vergangenen Frühjahr auch noch einem Wasserschaden im Keller der Gastwirtschaft zum Opfer gefallen und danach "verständlicherweise" entsorgt worden, wie Richterin Piechulla aufklärte.

Aus den Andeutungen der Vorsitzenden konnte man hören, dass die Forderungen nach Schadensersatz und Schmerzensgeld wohl ins Leere laufen werden. Ihre Entscheidung wird sie am 11. Juli verkünden.