Ingolstadt
Der weite Weg nach Ingolstadt

Wie es dem armen Dorf Friedrichshofen vor 50 Jahren schwer gemacht wurde, sich der Stadt anzuschließen

28.06.2019 | Stand 02.12.2020, 13:38 Uhr
Geborene Friedrichshofener, aber auch geborene Ingolstädter? Das ist bei dieser Runde - hier mit Ortschronist Gustav Bernhardt (2.v.l.) - eine berechtigte Frage. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Andere kleine Gemeinden in Bayern wie das fränkische Ermershausen kämpften damals jahrzehntelang um die Erhaltung ihrer Selbstständigkeit - bei der Zwerggemeinde Friedrichshofen war es genau umgekehrt: Der 450-Seelen-Ort im Westen Ingolstadts versuchte alles Mögliche, um endlich zur großen Nachbarstadt zu gehören.

Vor genau 50 Jahren, am 30. Juni 1969, sollte die Geschichte des selbstständigen Dorfes Friedrichshofen zu Ende gehen.

So dachten die Friedrichshofener zumindest, inklusive ihres bisherigen Bürgermeisters Alwin Bauer (SPD) und des ab sofort für sie zuständigen Stadtoberhaupts Otto Stinglwagner (SPD). "Auf diesen Augenblick habe ich mich lange gefreut", wird Bauer am 2. Juli 1969 im DK zitiert. Am 1. Juli hatte er, so wird berichtet, schon in der Früh mitgeholfen, um die Akten seiner nicht mehr existierenden Gemeinde zu einem städtischen Lastwagen zu schleppen und damit ganz offiziell in die Obhut der Stadt Ingolstadt zu übergeben. Auch wurden an diesem Tag bereits die Ortsschilder ausgewechselt.

Doch damit war die Sache keinesfalls erledigt, denn der Landrat des damals noch existierenden Landkreises Ingolstadt, Adolf Fink (CSU), hatte Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht München erhoben - mit zunächst nicht absehbaren Folgen. Also Kommando zurück? "Um diese Gemeinde", sagt Ortschronist Gustav Bernhardt, "ist wirklich hart gekämpft worden, obwohl sich früher niemand darum gekümmert hat. " Und wer wüsste das besser als Bernhardt.

Nicht etwa, dass der heute 72-Jährige seine Frau aus diesem Grund geheiratet hätte. Doch aus der Sicht des späteren Heimatforschers konnte er 1967 gar nichts Besseres tun, als Karoline Bauer aus Friedrichshofen zur Frau zu nehmen. Schließlich war seine Braut die Tochter des Bürgermeisters. So wurde die Familiengeschichte zwangsläufig auch ein Stück Ortsgeschichte und der junge Ehemann ganz nebenbei ein ehrenamtlicher Helfer bei den Amtsgeschäften des Schwiegervaters. "Wir haben in der Friedrichshofener Straße gewohnt", erzählt Bernhardt, "und im guten Zimmer des Bauernhauses daneben war die Bürgermeisterei mit einem Schreibtisch und einem Telefon untergebracht. "

Als Schwiegersohn habe er dem - natürlich nebenamtlichen - Bürgermeister mit der Schreibmaschine die Briefe getippt. "Die Schwiegermutter hat auch mitgeholfen, sie hat die Standesamtsbücher geführt. Die beiden waren ja noch Vollerwerbslandwirte. "

Dass diese arme, lange Zeit protestantisch geprägte Gemeinde nicht dauerhaft existenzfähig sein würde, so Bernhardt, musste im Grunde jedem klar sein. Nicht umsonst hatten die Friedrichshofener per Gemeinderatsbeschluss schon 1939 die Eingliederung in die große Nachbarstadt beantragt. Der nächste ernsthafte Versuch folgte nach dem Krieg 1959.Kurioserweise gab es bis 1969 gleich mehrere Arten von Friedrichshofenern. Die einen wohnten auf der stadtzugewandten Ostseite der Schultheißstraße und waren politisch gesehen von Anfang an Bürger der Stadt Ingolstadt. Ihre Nachbarn auf der gegenüberliegenden Westseite gehörten zur selbstständigen Kleingemeinde Friedrichshofen. Und eine ähnlich seltsame Grenze verlief oben an der Kellerhalsstraße. Wer nördlich davon wohnte, war Bürger der Gemeinde Gaimersheim.

Als der DK jetzt eine Runde von älteren Herrschaften aus Friedrichshofen in den Biergarten des Gasthofs Lamm bat, um sich mit ihnen zu unterhalten, war denn auch die damalige politische Trennung - natürlich nicht ganz ernst - leicht nachvollziehbar: Auf der einen Seite des Tisches neben Ortschronist Gustav Bernhardt die "Ingolstädter Fraktion" mit Max Berthold (90) und Adolf Ernhofer (80), die als Friedrichshofener schon immer Bürger der Stadt Ingolstadt waren, auf der anderen Seite Irma Schäfer (87), Karl Auernhammer (83) und Ludwig Braun (84), die offiziell erst 1969 zu Stadtbürgern wurden.

"Nachteile haben wir von der Stadt bestimmt keine gehabt", glaubt Irma Schäfer, deren Familie seit Langem die Esso-Tankstelle an der Ortsdurchfahrt betreibt. Der immer mehr zunehmende Autoverkehr, der sonst die meisten Friedrichshofener nervt, war am ehesten wohl im Sinne der Tankstelle. "Zum Leben langt's", meint die Geschäftsfrau. Warum die Gaimersheimer und der damalige Landkreis Ingolstadt 1969 auf die Gemeinde Friedrichshofen spekulierten? "Da war ja nix zu holen", lautet das einhellige Urteil in der Biergartenrunde.

Zurück zum "Dreißigjährigen Krieg" um Friedrichshofen, wie der DK seinerzeit titelte. Richtig ernst mit der Eingemeindung war es 1967 geworden, weil zwei große Investitionen auf das Dorf zukamen, die nie und nimmer zu finanzieren waren: der Neubau einer Volksschule und die Erschließung eines großen Baugebietes im Süden, das die Bayerische Landesbausparkasse erworben hatte. Mit einem Gemeindeetat von 92000 Mark waren in der Tat keine großen Sprünge zu machen.

Einer Bürgerversammlung folgte am 21. Juli 1967 die Unterzeichnung des Eingemeindungsvertrages. Bürgermeister Bauer und OB Stinglwagner signierten das - verglichen mit heutigen Stadtratsvorlagen - sensationell prägnante Schriftstück, bestehend aus einer einzigen Seite. Darin verpflichtet sich die Stadt Ingolstadt zum Neubau einer Schule, der Verwendung des bisherigen Schulbaus für gemeinnützige Zwecke, dem Anschluss des Ortes an die Kanalisation und der Gleichstellung aller Bürger.

So unkompliziert dieser Vertrag, so verworren alles, was danach kam. In der Gemeinde Gaimersheim erwachte jetzt das Interesse am Nachbardorf Friedrichshofen, auch der Landkreis Ingolstadt ließ sich von einer Abstimmung der Friedrichshofener (eindeutige 92 Prozent für Ingolstadt) nicht groß beeindrucken. Ein Machtwort aus München musste her. Das trifft mit Datum von 27. Juni 1969 "gegen Postzustellungsurkunde" bei allen Kontrahenten ein. "Die Bayerische Staatsregierung hat folgende Verordnung beschlossen, der der Landtag zugestimmt hat: Die Gemeinde Friedrichshofen wird aus dem Landkreis Ingolstadt ausgegliedert und in die Stadt Ingolstadt eingegliedert. Diese Verordnung tritt am 1. Juli 1969 in Kraft. "

Doch das ist, wie erwähnt, für Landrat Fink noch kein Grund, sich geschlagen zu geben. Seine Anfechtungsklage verwandelt Friedrichshofen Anfang Juli erst einmal in einen herrschaftsfreien Raum. Am 4. Juli beschwert sich der ehemalige (? ) Bürgermeister Bauer beim Regierungspräsidenten über das "Verhalten von Herrn Landrat Fink". Dieser habe ihm ausrichten lassen, dass "ich sofort meine Amtsgeschäfte wieder aufzunehmen hätte, andernfalls ich abgeholt würde". Derartige Drohungen seien "in unserem Rechtsstaat nicht üblich".

Vier Tage später antwortet der empörte Landrat dem Friedrichshofener: "Falsch ist Ihre Behauptung, ich hätte Ihnen damit drohen lassen, Sie abzuholen. Diese Behauptung ist nicht nur falsch, sie erfüllt auch den Tatbestand der üblen Nachrede. " Fink behält sich vor, "zum Schutz meiner Ehre die Hilfe der Gerichte in Anspruch zu nehmen". Es wird bis zuletzt mit harten Bandagen gekämpft.

Gerüchte machen die Runde, dass ein Staatskommissar eingesetzt werden müsse, um die Verwaltung aufrecht zu erhalten. Tatsächlich bewirkt nur das Eingreifen von Innenminister Bruno Merk, dass es zu einer Einigung kommt: Der Kreistag zieht seine Klage zurück, die Stadt zahlt dem Landkreis für den Gemeindewechsel 175000 Mark "Entschädigung". Am 12. Juli 1969 können die Friedrichshofener endlich ihr Eingemeindungsfest steigen lassen.

Auch 50 Jahre später hätten sie gern das Jubiläum groß gefeiert. Schon im Oktober 2018 machte BGI-Stadtrat Georg Niedermeier, der auch die Bürgerinitiative (FBI) leitet, dem OB per Brief den Vorschlag, dass die FBI "gerne zur Gestaltung des Festes beitragen" würde. Ohne Resonanz. "Wir haben auf das Schreiben nicht mal eine Antwort bekommen", sagt Bernhardt. "Die Art und Weise hat mich wirklich verärgert. "