Ingolstadt
Der Wald kann warten

Stadträte vertagen heikles Thema "Vierte Donauquerung" - Gegner der Vision gehen in Stellung

08.10.2019 | Stand 23.09.2023, 8:53 Uhr
Brennpunkt des Kommunalwahlkampfs: der Donau-Auwald bei Gerolfing. Nach dem Willen von FW und FDP soll dort eine Verkehrstrasse durchgetrieben werden. −Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Punkt 8.5 lag wie eine Mine auf der Tagesordnung des Stadtentwicklungsausschusses: "Aufnahme einer vierten Donauquerung in den Staatsstraßenausbauplan des Freistaats Bayern."

Da sind Hader und Zank unausweichlich. Vielleicht wagte es in der Sitzung gestern deshalb nahezu niemand, dieses heikle Terrain zu betreten. Mit Ausnahme Peter Springls, dem Fraktionschef der Freien Wähler. Der will sein Herzensprojekt endlich einen entscheidenden Schritt weiter bringen. Er erhofft sich von einem Tunnel unter der Donau als Teil einer neuen Trasse östlich Gerolfings an Ingolstadt vorbei eine signifikante Entlastung der Straßen in der Kernstadt. Doch die Gegner dieser Vision (dezent geschätzte Kosten mehr als eine Viertelmilliarde Euro) formieren sich bereits.

Aber gestern kam es zu keiner Aussprache. Springl lief auf. Das brisante Thema: vertagt auf die Stadtratssitzung am 24. Oktober. Davon waren diverse Ausschussmitglieder sichtlich erleichtert. Keine Widerrede von ihnen. Ruhe im Saal.

Wie gesagt: Punkt 8.5 stand drohend im Raum. Je näher er rückte - so schien es zumindest -, desto gründlicher widmeten sich die Redner aller Fraktionen Punkten mit weitaus geringerem Konfliktpotenzial. Baugebiet für Baugebiet wurde detailliert besprochen und dabei der Unterschied zwischen Karst- und Brauchwasser fein herausgearbeitet. Man hörte von "Pocket Gärten" und "Straßengrün in Ingolstadt", aber noch lange nichts über den Auwald.

Manfred Schuhmann (SPD) hielt einen kritischen Kurzvortrag über drei Lehrstühle, die die Stadt der Universität Eichstätt spendieren und in Ingolstadt ansiedeln will. Dabei ging es in der Sitzung eigentlich nur um die Nutzung des Ignatius-Hauses für diese Stiftungsprofessuren. Christian Lange (BGI) schloss sich an, hob Versäumnisse der Ingolstädter Hochschulpolitik seit 200 Jahren hervor. OB Christian Lösel (CSU) setzte zu einer langen Erwiderung an, in der er die Dringlichkeit einer konsequenten Wissenschaftsstrategie darlegte.

Alles sehr auffällig. Abgesprochen waren die ausschweifenden Reden natürlich nicht. Aber reiner Zufall wohl auch nicht.

Lösel hatte den vermeintlich zügig abzuhakenden Punkt 9 (eben die Lehrstühle) vorgezogen, um mehr Zeit für die Donauquerungsdebatte zu gewinnen. Als die um 17.50 Uhr, nach fast drei Stunden, schließlich unvermeidlich schien, bekundete der OB: "Ich muss weg! "

Großes Treffen mit führenden Vertretern der Wirtschaft am Standort. Ernste Lage. "Die kann ich nicht warten lassen. " "Ich will, dass Sie bleiben! ", erwiderte Springl. "Das Thema ist sehr wichtig. Auch wenn es unangenehm für uns beide ist. " Man habe gerade "in epischer Breite über ganz andere Sachen geredet", jetzt werde es höchste Zeit für die Donauquerung.

Doch Lösel blieb nicht, sondern bat den stellvertretenden Vorsitzenden des Gremiums, die Sitzungsleitung zu übernehmen: CSU-Ausschusssprecher Hans Achhammer. Er musste nicht mehr an die Front. Alle außer Springl sprachen sich dafür aus, Punkt 8.5 zu vertagen.

Man sieht sich wieder. In der Plenarsitzung am 24. Oktober. Dann, versicherte ein Stadtrat beim Verlassen des Saales, werde man aber ganz sicher über das Tunnelprojekt diskutieren.

Jenseits des Rathauses zeichnet sich ein Kampf um den Auwald ab. Bissige Pressemitteilungen befeuern die Debatte. Grünen-Fraktionschefin Petra Kleine schreibt: Während CSU-Ministerpräsident Söder den Auwald erst als Nationalpark und jetzt als Naturmonument sehe, "sind die Lokalpolitiker von FW, FDP und großen Teilen der CSU weiter damit beschäftigt, eine vierte Donauquerung durch das Flora-Fauna-Schutzgebiet zu treiben. Als ob es kein Morgen gäbe! Oder geben soll? Haben die nicht die Jugend gehört, die ihre Zukunft einfordert - und ja, das hat auch mit Wald, Klima und einer anderen Verkehrspolitik zu tun. " Das sei "unerklärliche Ignoranz", so die OB-Kandidatin der Grünen.

Christian Scharpf, OB-Kandidat der SPD, lehnt den Tunnelbau ebenfalls strikt ab. Er argumentiert: "Erst vor zwei Jahren haben die Gutachter des aktuellen Verkehrsentwicklungsplans festgestellt, dass eine vierte Donauquerung keine maßgebliche Entlastung für das Ingolstädter Verkehrsnetz bringt, sehr kostenintensiv ist und erhebliche Umweltbeeinträchtigungen mit sich bringt! "

Springl erwidert schriftlich: "Stadtentwicklung braucht eine langfristige Perspektive. " Und: "Die Behauptung, dass eine 4. Donauquerung keine Reduzierung des Verkehrs bringen wird, ist nicht richtig. Entsprechende Gutachten kommen genau zum gegenteiligen Ergebnis. "

Hier liegt es, das erste Minenfeld des Wahlkampfs. Auf breiter Front. Und unausweichlich.
 

Christian Silvester