München
Der Volkstribun in der Ringvorlesung

Andreas Wiedermann verlegte Richard Wagners tragische Oper "Rienzi" aus der Mitte Roms an die Münchner Uni

02.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:21 Uhr

In Andreas Wiedermanns Fassung sind alle Figuren zunächst Studenten. Ihr Professor nutzt den "Rienzi"-Stoff als Feldversuch, um den Hörern die eigene Verführbarkeit vorzuführen. - Foto: Lörinci

München (DK) Für einen ganz kurzen Moment hält er sich das böse Bärtchen an die Oberlippe. Und würde der wachsame Herr Professor nicht blitzartig einschreiten, wer weiß, was Student Rienzi noch auf Lager hätte. Chaplins großen Diktator? Dani Levys gnadenlosen Führer-Ulk? Egal, Richard Wagners fragwürdiges Frühwerk in einem Hörsaal aufzuführen, ist eine fabelhafte Idee und kommt in der Opera-Incognita-Produktion fast ohne die leidigen Hitler-Anspielungen aus.

Der halbwüchsige Noch-nicht-Führer erkannte in Rienzi angeblich seine Bestimmung: "In jener Stunde begann es", wird er Jahrzehnte später bekennen und dem Stück zu wenig rühmlichen Verquickungen verhelfen. All das aufzurollen, kann inzwischen nur mehr schiefgehen.

Stattdessen hat der um ungewöhnliche Annäherungen nie verlegene Regisseur Andreas Wiedermann den schwer erträglichen Plot um den römischen Volkstribun in eine "Ringvorlesung zur gesamteuropäischen Politik" gemixt. Unter den Studenten gibt es jedenfalls einiges zu diskutieren, wenn der Professor die Frage nach Demokratie oder Demagogie stellt - und ob Europas Herz denn womöglich rechts schlage.

Das ist nah an der Realität und doch fern genug, um Rienzi mit seinem zunächst so lauteren Gerechtigkeitswahn ernsthaft in den diskurshaften Unterricht einzubeziehen. Und letztlich bedarf es keiner Inhalte, um die Meute in Donald-Trump-Manier zu überzeugen. Studenten-Großmaul Rienzi, der die Schiebermütze umgekehrt trägt - Achtung: unkonventioneller Rebell! -, fährt zwar mit schöneren, verstaubten Reden auf, bei den ersten Zweifeln muss dann aber doch die Haribo-Box her. Und das Freibier ploppen!

Wobei Einspringer Anton Klotzner sein Volk zudem mit baritonal abgefedertem Tenor-Wumm um den Finger wickeln kann und das von Wagner perfide in die Endphase gesetzte Gebet wacker durchsteht. Sowieso tun die beherzten Striche, die das Ganze von vier auf gut zweieinhalb Stunden abspecken, nicht nur dem Auditorium wohl. Auch, dass Wiedemanns kongenialer Co-Pilot Ernst Bartmann die Partitur für gerade mal 13 Musiker eingerichtet hat, empfindet man keineswegs als übertriebene Diät. Überhaupt bringt im Hörsaal 101 der Ludwig-Maximilians-Universität manches Solo die Holzverkleidung zum Vibrieren, das durchweg fein besetzte Sängerensemble hätte auch den Audimax problemlos unterworfen und sich schon ob der Tuchfühlung zum Publikum zurücknehmen dürfen.

Da wären vor allem Tanja Christine Kuhn als Rienzis Schwester Irene und Carolin Ritter, für deren Hosenrolle des Adriano Regisseur Wiedermann eine schlüssige Umdeutung gefunden hat: Der adlige Bub ist eine lesbische Frau, damit können wir heutzutage mehr anfangen, als mit den testosteronbeherrschten Vorstimmbruch-Cherubinos und Sestos. Genauso sind die um ihre Macht gebrachten Adelsoberhäupter - in diesem Fall Wirtschaftsbosse - mit Martin Summer als markig tiefem Colonna und dem zwischen Professor und Orsini virtuos pendelnden Torsten Petsch eindrucksvoll unterwegs.

Dass es häufig drunter und drüber geht? Muss man in diesen Räumlichkeiten wohl in Kauf nehmen. Ernst Bartmann hat vom Pult seines herrlich flexiblen Orchesters aus gut zu tun, um den Chor immer wieder in die Spur zu lotsen. Für den ist der "Rienzi" zwar ein paar Nummern zu groß, allerdings lebt die Hörsaal-Version von dessen Spiel. Und das Hin und Her zwischen aufmüpfigen Studenten und verführtem Volk gelingt spannungsvoll, zwischendurch sogar amüsant.

Am Ende? Hat Rienzi trotz aller Meriten bei den wankelmütigen Nationen verspielt. Sein Zwölf-Punkte-Plan für ein geeintes Europa ist eh schon Schnee von gestern. Der Hörsaal geht zwar nicht wie das Kapitol in Flammen auf, aber die Flaggen werden abgehängt. Brexit, Grexit, Dexit? Noch vor ein paar Jahren hätte keiner für möglich gehalten, was mittlerweile ganz selbstverständlich durch Europa schwappt.

Aufführungen am 3., 7., 9. und 10. September,19 Uhr, im Hörsaal B 101 (Bestelmeyer-Anbau an der Adalbert-/Ecke Amalienstraße). Karten unter Telefon (089) 54 81 81 81.