Neuburg
Der Vater des "Jahrhundertmörders"

02.02.2010 | Stand 03.12.2020, 4:17 Uhr

Heinrich Himmler (links) mit seinem Vater Gebhard, der in Neuburg zur Schule ging: an der Königlichen Studienanstalt. Im Descartes-Gymnasium hat man noch ein Zeugnis: Der spätere Prinzenerzieher hatte in allen Fächern die Note Sehr Gut – außer im Turnen. - Foto: oh

Neuburg (szs) Sie geht mit ihrer eigenen Familie hart ins Gericht: Autorin und Großnichte des Reichsführers-SS, Katrin Himmler las gestern im Descartes-Gymnasium aus ihrem Buch "Eine deutsche Familie". Dort lagert noch ein Zeugnis ihres Urgroßvaters: Gebhard Himmler.

"Als ich 15 war, fragte mich ein Mitschüler, ob ich mit dem Himmler verwand sei", beginnt die Politologin ihre Lesung. Mit einem Kloß im Hals bejahte sie die Frage. "Ich schämte mich für meinen Namen", erzählt die 42-jährige Autorin. Heute redet sie offen über ihre Familie, deren Begeisterung für den Nationalsozialismus und deren Verbrechen im Dritten Reich.

Von frühester Jugend an habe sie sich mit der deutschen Geschichte befasst – wusste "irgendwie schon immer, von den Verbrechen meines Großonkels". Im Studium befasste sie sich intensiv mit Totalitarismustheorien. "Nur um die Rolle meiner eigenen Familie machte ich immer einen großen Bogen", erklärt Katrin Himmler.

Ihr Vater habe sie irgendwann auf die Idee gebracht, im Bundesarchiv nicht nur nach Heinrich zu suchen, sondern auch nach dessen beiden Brüdern Gebhard und Ernst – Katrin Himmlers Großvater. Schnell fand sie dort heraus, dass "die alte Legende" nicht stimmen konnte, die in der Familie aufrecht erhalten wurde: dass die beiden Brüder Heinrichs nur Mitläufer, aber keine überzeugten Nazis gewesen seien. Mit diesem Bild räumt Himmler in ihrem Buch auf: "Alle in der Familie waren begeisterte Anhänger der Nazi-Ideologie."

 
Es habe ihr Überwindung gekostet, über den eigenen Großvater herauszufinden, dass auch er Menschenleben auf dem Gewissen hatte. In seiner Stellung beim Reichsrundfunk, meldete er einen halbjüdischen Mitarbeiter an seinen Bruder Heinrich. "Ihm muss klar gewesen sein, dass das die Deportation und den Tod für den Mann bedeuten würde", erklärt Himmler.

Gebhard, der älteste der drei Brüder war im Reichserziehungsministerium tätig. Dessen Kinder und Enkel haben nach der Buchveröffentlichung den Kontakt zu Katrin abgebrochen: "Sie waren sehr erbost darüber, wie Gebhard in meinem Buch dargestellt wird", sagt Himmler im Descartes-Gymnasium.

Überzeugte Nazis

Dort lagert noch eine alte Mappe mit Unterlagen und Zeugnissen eines gewissen Gebhard Himmlers – dem Vater der drei Brüder. 1878 kam dieser mit einem Stipendium an das Internat der Königlichen Studienanstalt Neuburg. In dem Zeugnis hatte Gebhard Himmler stets die Note sehr gut – nur im Turnen schaffte er lediglich eine Zwei. "Mit unermüdlichem Fleiß hat er stets alle Lehrer erfreut", lobt ihn der Direktor auf dem alten Schriftstück. "Das wundert mich nicht", sagt dessen Urenkelin, "die Himmlers waren alle Musterschüler". Auch die drei Brüder seien immer die Klassenbesten gewesen.

Trotz der humanistischen Bildung entwickelten sie sich später zu menschenverachtenden Nationalsozialisten. Von Anfang an wurden sie zu "wirklich deutsch gesinnten Männern" erzogen, wie Katrin Himmler aus alten Briefen ihres Urgroßvaters zitiert. Vater Gebhard wurde später privater Prinzenerzieher bei den Wittelsbachern und Gymnasialdirektor in München. In die NSDAP traten er und seine Frau Anna 1933 ein – mit einer Sondergenehmigung, denn zu dieser Zeit galt Aufnahmesperre. "Bei seiner Beerdigung war der ganze Friedhof schwarz von den SS-Uniformen", erzählt Himmler. Adolf Hitler habe einen Kranz gesendet. Wie die ganze Familie, sei auch Gebhard überzeugter Nationalsozialist gewesen.

Katrin Himmler bricht vollständig mit dieser Tradition: Sie ist verheiratet mit einem jüdischen Israeli. Dessen Familie sei im Dritten Reich verfolgt worden – von Katrins Großonkel Heinrich Himmler.