Der Terror im Kopf

Kommentar

24.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:30 Uhr

Der Amokläufer von München hat ein scheußliches Verbrechen begangen, hat neun - überwiegend sehr junge - Menschen getötet. Das ist eine Tragödie, und den Angehörigen und Freunden der Toten ebenso wie den Verletzten gehört unser Mitgefühl.

Dass allerdings ein einzelner, psychisch kranker Schüler in der Lage ist, eine komplette Millionenstadt lahmzulegen, ihre Bewohner und Gäste in Angst und Panik zu versetzen, das weist weit über die brutalen Morde im Olympia-Einkaufszentrum hinaus. Es zeigt, wie sehr sich die Angst vor dem Terror schon in unseren Köpfen festgesetzt hat, wie weit die krude Propaganda des IS in unsere Gesellschaft vorgedrungen ist.

Als am Freitagabend die ersten Nachrichten von den Schüssen im Einkaufszentrum öffentlich wurden, war für viele sofort klar, dass nun der befürchtete und mühsam verdrängte große Terrorangriff in Deutschland begonnen hatte. Die Assoziationskette Paris - Nizza - München lag einfach zu nahe. Sofort lief die gigantische Gerüchtemaschine der sozialen Netzwerke an und plötzlich schien es überall in der Stadt Schießereien zu geben. Man kann den Urhebern dieser Falschmeldungen in vielen Fällen wahrscheinlich nicht mal einen Vorwurf machen. In der aufgewühlten Stimmungslage eines solchen Abends werden aus aufgeschnappten Gerüchten eben blitzschnell Gewissheiten, die über die sozialen Netzwerke eine gewaltige Wucht entwickeln.

Deshalb erübrigt sich auch die Frage, ob die Sicherheitskräfte überreagiert haben, als sie die ganze Stadt praktisch zum Stillstand brachten. Sie konnten gar nicht anders, als mit einem beispiellosen Großeinsatz auf die unübersichtliche Situation zu reagieren. Auch in Deutschland beobachtet man schließlich aufmerksam die Debatte im Nachbarland Frankreich über die Pannen und Nachlässigkeiten bei der Reaktion auf die jüngsten Terrorangriffe.

Nicht nur die Polizei, auch die Bundeskanzlerin hat in der Ausnahmesituation dieses Abends professionell gehandelt. Im Fall Angela Merkels bedeutete das: erst einmal nichts sagen, solange man nichts weiß. Erst am Samstag war schließlich klar, dass es sich nicht um islamistische Terroristen, sondern einen Nachahmungstäter der Amoktaten von Oslo und Winnenden handelte.

Merkel fand in dieser Situation durchaus die richtigen Worte. In der politischen Debatte zeigt sich aber auch eine große Ratlosigkeit. Das Waffenrecht wird wieder ins Blickfeld gerückt, das soziale Umfeld des Täters, die Ballerspiele - aber im Endeffekt hat niemand eine Antwort auf die Frage, wie solchen monströsen Gewalttaten wirkungsvoll begegnet werden könnte.

Ein paar Gewissheiten hat der Schreckensabend von München aber hinterlassen: Die Polizei hat nachdrücklich ihre Fähigkeit zu einem massiven Großeinsatz zum Schutz der Bürger gezeigt. Die wiederum haben mit einer beeindruckenden Welle von Hilfsbereitschaft und Solidarität bewiesen, dass sie sich eben nicht von der Angst beherrschen lassen wollen. Sie haben damit genau das getan, was der damalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg nach dem Massaker von Utøya beschworen hat: "Unsere Antwort wird mehr Demokratie sein, mehr Offenheit und mehr Menschlichkeit. Aber nie Naivität."