Der Tag, an dem sich die Welt veränderte

23.12.2009 | Stand 03.12.2020, 4:23 Uhr

Unvorstellbar groß war das Ausmaß der Zerstörung, als der Eichstätter Michael Kreitmeir wenige Tage nach der Katastrophe die Ostküste von Sri Lanka erreichte. Die Pfosten mit den weißen Bändern stehen für Gräber. - Fotos: oh

Eichstätt/Koslanda (DK) "Es war eine Welt im Ausnahmezustand. Zerstörung und Konfusion um uns herum. Vor Ort waren wir ganz alleine auf uns gestellt, machten uns nur wenige Tage nach der verheerenden Welle auf den Weg in den Osten, dahin, wo es am Schlimmsten war." So erinnert sich der Eichstätter Michael Kreitmeir an die Tsunamikatastrophe auf Sri Lanka vor fünf Jahren.

Weiter erzählt er: "Diese ersten Fahrten in unserem klapprigen Lastwagen, auf teilweise zerstörten Straßen durch zahllose Militärsperren in ein anderes Sri Lanka, das damals von den Rebellen kontrolliert war. Und dann eine Zerstörung, wie ich sie nur aus Bildern und alten Aufnahmen kannte von Städten in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Ausradierte Städte und Dörfer, wo man auch hinkam ein Trümmerfeld und manchmal nicht einmal das.

Ich erinnere mich an eine Nacht, die wir in einem Art Gräberfeld verbrachten. Der Lastwagen war stecken geblieben, nur die Zementfußböden erinnerten daran, dass hier noch vor wenigen Tagen Häuser gestanden, Menschen gelebt hatten. Anton und Suresh, meine zwei einheimischen Mitarbeiter, hatten große Angst vor den Geistern der Toten, verbarrikadierten sich im Führerhaus des Lastwagen.

Ich dagegen lag auf einem dieser Zementböden und versuchte mir das Leben vorzustellen, das über diesen Belag getrampelt war. Hatten die Menschen, die hier gelacht, geweint, gehofft und geplant hatten, überlebt? Niemand war hier, den man hätte fragen können, nicht einmal die Hunde, sonst allgegenwärtig in Sri Lanka, wagten sich an diesen Ort.

In dieser Nacht habe ich nicht eine Minute geschlafen. Irgendwann bin ich aufgestanden und im Licht der Sterne von einer Bodenplatte zur Anderen gewandert. Es gab hier kaum Trümmer, fast alles hatte die See verschlungen, nur eben diese Fußböden zurückgelassen.

Wie Inseln im Sand erinnerten sie mich an Menschen, für mich zwar ohne Namen, ohne Gesichter aber doch fast körperlich spürbar. An den Böden konnte man den Grundriss der Häuser erkennen, Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer. Nicht einmal die Palmen hatten hier der Wucht der Welle standhalten können, nichts war mehr hier als diese Bodenplatten, Erinnerungssteine an Menschen und ihr Leben, Menschen, verschwunden in der See.

Fast genau fünf Jahre später bin ich noch einmal zu diesem Ort gefahren. Ein hoher Zaun versperrte mir den Zugang zum Strand. Der Wächter, auf mein Hupen herbeigeeilt, erklärte mir, dass das Land einem hohen Politiker gehöre, und der würde zusammen mit einem ausländischen Investor hier eine Hotelanlage bauen, denn jetzt sei der Krieg ja vorbei und bald würden sicher die Touristen wiederkommen.

Aber hier war doch ein Dorf, das Land gehörte doch Menschen, wandte ich ein. Davon, so der Wächter, wisse er nichts, er sei nicht von hier, aber wen interessiere das schon.

Einige Kilometer weiter, da wo der Strand noch nicht in Besitz genommen worden war, setzte ich mich hin. Ich schaute hinaus aufs Meer, das so unglaublich friedlich da lag und ich habe gedacht an die Menschen, die ich nie gekannt, nie gesehen habe und denen ich doch eine Nacht lang so nahe war."