Pfaffenhofen
Der Sommer-Datsch und sein Bombardon

12.08.2010 | Stand 03.12.2020, 3:47 Uhr

Max Weinberger, Chorregent und langjähriger Leiter der Pfaffenhofener Stadtkapelle, lebte einige Jahre am Hofberg.

Pfaffenhofen (PK) Der Hofberg ist mit einer Länge von 90 Metern eine der kürzesten Straßen in der Innenstadt. Einen Berg sucht man vergebens. Der Name geht auf eine Burg zurück, die Herzog Ludwig der Kelheimer um 1200 hier errichtet hatte. Leider gibt es keine bildliche Darstellung dieser Anlage.

Sie dürfte wohl eine "Hofburg" gewesen sein – also ein Ort, um "Hof zu halten". Möglich, dass man den Bau, um seine Bedeutung hervorzuheben, auf einen künstlich angelegten Hügel gesetzt hat, weshalb man den Weg, der nordseitig die Burg umgrenzte, Hofberg nannte. Als im Jahr 1388 der große Städtekrieg ausbrach, der ganz Süddeutschland erfasste, wurde der Markt mitsamt der Burg eingeäschert. Heute begrenzt der große Komplex des Landratsamtes die gesamte Süd- und Ostseite des Hofbergs.

Ruhig und beschaulich verlief in früheren Zeiten das Leben in dieser kleinen Straße zwischen Hauptplatz und Ingolstädter Straße. Kinder spielten Schusser, Räuber und Schandi oder sie malten aufs Pflaster Zeichen fürs Häuserlhupfen. Heute ist durch die Belebung mit Geschäften und den Verkehr, der sich ständig durch die schmale Straße schlängelt, von der Freiheit vergangener Kindertage nichts mehr geblieben.

Den kurzen Weg über den Hofberg beginnen wir, vom Hauptplatz kommend, auf der Westseite beim Verkaufsladen der Bäckerei Rumetshofer. Die Modistin Josephine Schmutterer führte hier von 1917 bis Anfang der 1970er Jahre ein Hutgeschäft. Nach einigen Kurzmietern kam es in den Besitz von Paul Böller, nachdem er sein Hutgeschäft von der Ingolstädter Straße in den Hofberg verlegt hatte.

Das einstige Schuhhaus im nächsten Gebäude ist längst Vergangenheit, sein Besitzer Anton Sommer – der Sommer-Datsch – als echtes Pfaffenhofener Original bei vielen aber noch in allerbester Erinnerung. Sobald im März die ersten warmen Sonnenstrahlen den Winter vergessen ließen, schlüpfte der Datsch in seine kurze Lederhose und die Wadenstrümpfe, die er erst nach den ersten Nachtfrösten im Spätherbst wieder auszog. Über Jahrzehnte spielte der Sommer-Datsch in der Stadtkapelle die tiefe Tuba, das Bombardon. Dieses große, schwere Blechblasinstrument passte so trefflich zu seiner urwüchsigen bajuwarischen Erscheinung, wie auch ein Virginia-Stumpen, der ständig in seinem Mundwinkel hing und ihn auch nicht beim Sprechen störte.

Im tiefen Keller. . .

Im Chor der Liedertafel überzeugte der Datsch als Bassist. Wenn er in Gesellschaft sein Lieblingslied "Im tiefen Keller. . ." zum Besten gab, und das tat er bei jeder sich bietenden Gelegenheit, glaubte man, sein Blasinstrument zu hören. Mehrere Mieter aus den verschiedensten Branchen versuchten in späteren Jahren, sich in seinem Laden sesshaft zu machen.

Der Komplex der heutigen Wohnanlage mit dem Seniorenzentrum St. Josef, der an das ehemalige Schuhgeschäft angrenzt, steht auf historisch bedeutsamem Boden. Um 1717 wurde hier ein Franziskanerkloster erbaut, die heutige Spitalkirche am oberen Hauptplatz ist noch erhalten geblieben. In seiner Blütezeit lebten in dem Kloster zwölf Mönche und ein Laienbruder, die sich in der Stadt um Hospizaufgaben kümmerten und den örtlichen Pfarrer bei Gottesdiensten und Beichten unterstützten. Nach der Säkularisation 1803 kam das Kloster in Staatsbesitz. Zwei Jahre später kaufte es die Stadt und wandelte es in ein Spital, später in ein Altenheim um. Auch der Pfaffenhofener Kindergarten war in den ehemaligen Klostergebäuden untergebracht. Einige Jahrzehnte diente der Teil am Hofberg als Knabenschulhaus, bis 1889 der Neubau in der heutigen Schulstraße eröffnet wurde. Dann machte man daraus ein Wohnheim für Lehrer und Hilfslehrer. Der heute noch unvergessene Chormeister und Stadtkapellenleiter Max Weinberger – der "Muse Max" - wohnte hier mehrere Jahre, bis er 1936 sein neues Haus in der Hörlstraße bezog. Von 1910 bis 1930 belegte die Städtische Musikschule das Obergeschoss des Hauses, bis es wiederum als Unterrichtsraum für die 8. Mädchenschulklasse Verwendung fand. In den letzten Kriegsjahren mussten sämtliche Mädchen hier notdürftig unterrichtet werden – ihr Schulhaus, das heutige Haus der Begegnung, diente militärischen Zwecken. Bis zum Abriss 1972 wurde es weiterhin als Ausweichraum für Schulklassen benützt.

Wohnheim für Hilfspfarrer

Am Zugang zum früheren Altenheim St. Josef stand vormals das Frühmesshaus. Ein Wohnheim für Hilfspfarrer, die täglich die Frühmesse zelebrierten. An den beliebten Rektor Donal, der im Obergeschoss seine Wohnung hatte, kann ich mich noch gut erinnern. Das Frühmesshaus war an das Anwesen der einstigen Spenglerei von Anton Götz angebaut. Nach dem Abbruch im Jahre 1969 schmückte der Besitzer die nun freie Südfassade seines Hauses mit einer großen kunstvoll verzierten Sonnenuhr um den hektischen Menschen dort unten die schönen Stunden anzuzeigen.

Im Götz-Haus wechselten mehrere Mieter in kurzen Abständen; mit Haushaltswaren, Mode und noch so manchem mehr. Im Nachbargebäude, in früheren Zeiten ein Getreidestadel, betrieb später der Schuster Hölzl eine Reparaturwerkstatt. Ein nützliches Handwerk, das sich auch in unserer Wegwerfgesellschaft bis heute behauptet hat. Derzeit schneidet ein Mieter im selben Laden gegrillte Fleischscheiben mit einem großen Messer aus einem senkrecht stehenden Drehspieß, belegt damit aufgeschnittenes Fladenbrot und serviert es seinen Kunden als Döner Kebap.

Im folgenden Haus war ab dem Jahr 1886 über mehrere Jahrzehnte die Sattlerei von Max Brückl ansässig. Zwei Kinder aus der Familie leben noch in meiner Erinnerung. Oberlehrer Josef Brückl, eine bedeutende Persönlichkeit unserer Stadt, war ein Mann mit Sitte und Moral, mit edlem Charakter und fester Gesinnung. Er repräsentierte ein Stück deutscher Kultur bis in die Zehenspitzen. In den Nachkriegsjahren war er zweiter Bürgermeister und sehr aktiv im kulturellen Leben der Stadt, unter anderem als langjähriger Vorstand der Liedertafel. Seine Schwester, die "Brückl Kath", war ebenfalls in vielen Vereinen engagiert und kümmerte sich besonders um soziale Anliegen.

Der erste Naturkostladen

Von 1981 bis 1985 befand sich hier der erste Pfaffenhofener Naturkostladen Mandala. Die Bezeichnung kommt aus dem Buddhismus, und steht für das Bemühen, mit gesunder Nahrung positive Kräfte aufzubauen. Auch das Fischgeschäft von Günther Schön war hier am Hofberg zu finden.

Das Eckgebäude zur Ingolstädter Straße ging ab 1895 in den Besitz der Metzgerei Schmidtner über. Vorher wechselten sich dort, ab dem 17. Jahrhundert, mehrere Eigentümer ab. Unter ihnen war auch die Familie des Komponisten Johann Georg Feldmaier, der 1750 hier geboren wurde. Einige Werke von ihm wurden schon im Bayerischen Rundfunk aufgeführt.

Gegenüber auf der heutigen Landratsamtsseite stand von 1895 bis zum Abriss 1965 die Schlosserei Gschwendner mit einem Metallwarenverkauf, Fahrradhandel und Reparaturwerkstatt. In einem Teil des Ladens eröffnete Franz Wess, nachdem er die Gschwendner Tochter geheiratet hatte, zu Beginn der 1950er Jahre ein Sportgeschäft, vor allem für Wintersportartikel. Es war die Zeit, in der die ersten fabrikmäßig hergestellten Ski mit angeschraubten Stahlkanten und einer Stahlfederzugbindung auf den Markt kamen. Die Bekleidungsindustrie zog nach, mit Anoraks, schnittigen Keilhosen und gefütterten Fingerhandschuhen aus Leder. Der Skiboom kam ins Rollen, der kleine Sportladen wuchs mit. Franz Wess organisierte Busfahrten in die aufstrebenden Wintersportgebiete. Die Schlagerwelt tat das Ihre dazu. Fred Rauch sang: "Zwoa Brettl a gführiga Schnee juche, des wär halt mei höchste Idee. . ." Nach dem Abriss des Gebäudes verlegte Franz Wess sein Geschäft in die Löwenstraße.

Nach dem Gschwendner Haus folgte ein freier Platz. Es war die Einfahrt zum Ökonomiegebäude der Paulaner Brauerei. Einige Zeit wurde es als Kuhstall genutzt, der Gestank ist einem damaligen Anwohner heute noch in unangenehmer Erinnerung.

Das angrenzende Eckhaus war einst Anziehungspunkt für die kleinen und größeren Kinder. Hier führte die Familie Daubmeier ein beliebtes Spielwarengeschäft. Sie hatte 1930 den Schreibwarenladen der Buchbinderei Ludwig Krammel erworben, die seit 1865 hier ansässig war. Man nannte das Geschäft den "Hinterkrammel", da zur gleichen Zeit ein Leonhard Krammel am Hauptplatz das gleiche Gewerbe betrieb.

Nach dem Daubmeierladen befand sich bis zum Neubau des Landratsamtes nur noch der Lagerraum und Getreidespeicher der Firma Hufnagel aus der Ingolstädter Straße.

Mein Blick fällt noch einmal zurück. Über den Häusergiebeln des Hofberges erhebt sich unser imposanter Pfarrkirchturm und neben ihm sein kleiner Bruder, der Zwiebelturm der Spitalkirche.

Passend zu dieser Postkartenidylle denke ich an die Erzählung eines älteren Bewohners, der sich noch daran erinnert, wie der Fahrradhändler Gschwendner in den 1930er Jahren den Sitz seines Hochrades in zwei Metern Höhe bestieg und am Hofberg seine Fahrkünste zeigte – wenn der nun plötzlich um die Ecke kurven würde!