Evian
Der Sicherheitschef

Innenverteidiger Giorgio Chiellini ist das markante Gesicht der italienischen Defensive

29.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:36 Uhr

Evian (DK) Im August feiert Giorgio Chiellini seinen 32. Geburtstag. Man sieht ihm das Alter ein bisschen an. Taufrisch wirkt er jedenfalls nicht mehr - auf den ersten Blick. Und der Schwarm italienischer Schwiegermütter dürfte er auch kaum sein - auf den ersten Blick. Schütteres Haar, Boxernase, grimmige Miene: Chiellini ist der Gegenentwurf eines smarten Beau im Maßanzug aus Mailand. Doch der erste Blick täuscht, wie so oft. Privat soll er ein sehr netter und umgänglicher Mensch sein. Und studiert ist er auch. Wenn Chiellini nicht gerade auf dem Fußballplatz steht, schafft der Betriebswirt an seiner Doktorarbeit.

Es stimmt auch nicht, dass Chiellini nicht mehr taufrisch ist. Zugegeben, andere sind schneller im Antritt. Bedeutend schneller. Chiellini war nie ein Sprinter. Doch dem Defensivspezialisten wegzulaufen, einfach mal so, bleibt trotzdem eine Herkules-Aufgabe. Dazu muss man nicht nur wieselflink auf den Beinen, sondern auch außergewöhnlich gewandt sein. Charmant ausgedrückt ist Chiellini ein kompromissloser Verteidiger. Andere nennen ihn Raubein, sogar eine gewisse Brutalität wurde ihm schon vorgeworfen. Fakt ist, dass er nie fackelt im Zweikampf. Vielleicht ist er der letzte noch lebende Gladiator. Aber mindestens ein Zweikämpfer alter italienischer Schule. "Er hat mich in diesem Turnier bislang sehr beeindruckt", sagt der deutsche Innenverteidiger Mats Hummels.

Wer gegen Italien Tore schießen möchte, muss an Chiellini vorbei. Der Mann ist ein Pferd und immerzu dort, wo es brennt. Unerbittlich stürzt er sich ins Gewühl. Ohne Rücksicht auf Verluste. Dazu gehört, dass er sich selbst auch nie schont. Viermal hat er sich bereits die Nase gebrochen, das hat Spuren hinterlassen. Chiellini ist kein Typ, der nachher zum Schönheitschirurgen rennt. Später vielleicht einmal, wenn keine Gefahr mehr besteht, dass der Knochen ein fünftes Mal bricht.

Giorgio Chiellini wird in Italien verehrt. Weil er das eigene Tor schützt wie nur wenige auf der Welt. Joachim Löw hat in diesen Tagen einmal den Grund für den Heldenstatus italienischer Verteidiger erklärt. "In Italien", sagte der Bundestrainer, "wird ein 0:0 gefeiert. Das ist dort mehr wert als ein 2:2 oder 3:3. Die Leute mögen es, wenn die Null steht." Chiellini hat dies verinnerlicht. Er grätscht unerbittlich in Ball und Gegner. Manchmal fliegen Funken, für den bärtigen Turiner ist dies genauso wichtig wie früher die große Kunst des Andrea Pirlo. Der langjährige Spielmacher, ein genialer Fußballer, hat seine Karriere beendet. Nun ist Chiellini Kopf und Chef der "Squadra Azzurra". Gefeiert von den Tifosi, gefürchtet von den gegnerischen Stürmern.

Chiellini hat sich diesen Ruf in vielen Fußball-Schlachten sehr gründlich erarbeitet. Im Achtelfinale gegen Spanien schoss er sogar ein Tor und sprang beim Jubel so hoch wie ein Jungspund. Mitunter täuscht der erste Blick. Und vielleicht schwärmen ja doch die Schwiegermütter Italiens für den zwar grobschlächtigen, aber auch sehr feinsinnigen künftigen Doktor der Betriebswirtschaft.