Aichach
Der selbstbewusste Azubi

Jeder fünfte Ausbildungsvertrag wird aufgelöst: Die Ursachen dafür sind vielschichtig

09.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:58 Uhr

Handwerksberufe haben Nachwuchsprobleme. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Das gilt auch für die vorzeitige Auflösung von Ausbildungsverträgen. Jeder fünfte Azubi verlässt rein statistisch gesehen vor Abschluss der Lehre seinen Ausbildungsbetrieb. Das war aber auch früher schon so. - Foto: IG Bau

Aichach (SZ) Von einem "Arbeitnehmermarkt" spricht der Fachmann seit geraumer Zeit und meint damit den viel diskutierten Fachkräftemangel und die Zahl der offenen Stellen. Auch Schulabgänger haben längst die "Qual der Wahl".

Sie können sich im Grunde in aller Ruhe ihren Traumberuf suchen, während sich Unternehmen mitunter überaus schwer tun, ihre Lehrstellen überhaupt zu besetzen. Zudem wird jeder fünfte Ausbildungsvertrag aufgelöst. Klagen werden in diesem Zusammenhang immer wieder laut, die jungen Menschen hätten kein Durchhaltevermögen mehr, keine "Leidensfähigkeit", um auch mal schwierige Phasen durchzustehen. "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" - ein Spruch, der seine Bedeutung verloren hat? "Viele junge Leute sind heute selbstbewusster und haben genaue Vorstellungen, wie ihre Ausbildung laufen soll", betont Monika Treutler-Walle, Pressesprecherin der Handwerkskammer für Schwaben. Das sei aber positiv zu sehen, "denn schließlich wollen und brauchen wir engagierte Nachwuchskräfte im Handwerk". Die meisten Unternehmen hätten sich darauf eingestellt und werden als Ausbildungsbetriebe weiterempfohlen. "Die Bewerber sind nicht schlechter als früher. Sie sind halt anders", stimmt auch Josefine Steiger, bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Augsburg zuständig für den Fachbereich Ausbildung, nicht in den Chor der Kritiker ein. Dass es der Überhang an Ausbildungsplätzen leichter macht, etwas Neues zu finden, steht außer Frage. Wobei die Gründe für einen vorzeitigen Ausstieg aus einer Lehre überaus vielschichtig sind - und durchaus auch früher schon zur Beendigung einer Ausbildung führten. Das belegen die Zahlen. Zunächst zur IHK-Statistik. Rund 20 Prozent, also jeder fünfte Ausbildungsvertrag, wird vorzeitig aufgelöst. Das war allerdings auch 2010 schon so, als das Thema Berufsorientierung noch nicht besonders groß geschrieben war. Zehn Prozent brechen die Lehre während der Probezeit ab. Im Raum Aichach übrigens nur 8,8 Prozent. Überhaupt gibt es aus dem Wittelsbacher Land positive Signale. Zum Jahreswechsel konnte ein Anstieg von 2,3 Prozent an neuen Ausbildungsverträgen verzeichnet werden. Schwabenweit waren es lediglich 0,3 Prozent mehr. Einen positiven regionalen Aspekt hat auch die Handwerkskammer parat. Bei den Vertragslösungen liegt man unter dem schwäbischen Durchschnitt. In Aichach-Friedberg werden nur 15 Prozent der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge gelöst, der schwäbische Schnitt liegt bei 20 Prozent, also auch bei jedem Fünften. Das Gros der Vertragslösungen, so Monika Treutler-Walle, vollziehe sich im Kammerbezirk der HWK Schwaben im ersten Ausbildungsjahr, die meisten noch in der Probezeit. Dazu sei sie ja für beide Partner da. Treutler-Walle spricht stets von "Auflösungen", nicht von Ausbildungsabbrüchen. Und dies mit gutem Grund. Von den Jugendlichen, die ihre Verträge lösen, macht die Hälfte in einer Berufsausbildung - oft auch im gleichen Beruf - weiter. Entweder gab es Probleme innerhalb des Betriebs, mit Kollegen etwa oder Vorgesetzten, es waren die Anfahrtswege zu weit oder zu umständlich, oder es entsprachen die Tätigkeiten doch nicht den Vorstellungen. Unternehmen ihrerseits führen unter anderem mangelndes handwerkliches Talent oder auch fehlende Motivation an. "Es passt halt nicht", fasst Monika Treutler-Walle zusammen. Es müsse jungen Menschen und den Unternehmen möglich sein, sich zu trennen. Das sieht Josefine Steiger ähnlich. Passen zwei nicht zusammen, sei eine Auflösung der beste Schritt. Das bedeute aber nicht, dass der Lehrling vielleicht in einem anderen Betrieb nicht doch noch seine Ausbildung beende. Als weitere Gründe nennt sie darüber hinaus den Wechsel an eine weiterführende Schule oder den Beginn eines Studiums, "weil man doch noch einen Platz bekommen hat". Der Schulabschluss zu Beginn einer Ausbildung hat übrigens nichts mit dem Lösungsverhalten zu tun. Es stimme nicht, dass Mittelschüler oder Jugendliche ohne Abschluss häufiger Ausbildungsverträge beendeten als Realschüler oder Abiturienten, erläutert Monika Treutler-Walle. Und: So unterschiedlich wie die Gründe für eine "Trennung" sind, so breitgefächert sind auch die Berufssparten: "Einzelne Berufe lassen sich nicht herausstellen, und das würde diese auch stigmatisieren." Alle Jugendlichen, die ihren handwerklichen Ausbildungsvertrag gelöst haben, werden über ein sogenanntes Matchingprogramm, das "Programm Passgenaue Besetzung" der Handwerkskammer, betreut. Das heißt, sie erhalten neue Ausbildungsplatzangebote. Für ihre individuellen Ausbildungsfähigkeiten und persönlichen Wünsche wird ein passendes Handwerksunternehmen gesucht. Gleiches gilt auch für Handwerksbetriebe, die ein Vertragsverhältnis gelöst haben. Die Handwerkskammer könne hier sehr gute Erfolge verzeichnen, "gematchte Ausbildungsverhältnisse erweisen sich langfristig betrachtet als sehr stabil". Schulen legen inzwischen großen Wert auf Berufsorientierung, Betriebe ihrerseits gehen auf die Jugendlichen zu. "Von alleine kommen sie nicht", erklärt Maria- Theresa Ottillinger von der Metzgerei Ottillinger aus Pöttmes. Zudem habe sich das Probearbeiten als wertvoll erwiesen. 15 Lehrlinge beschäftigt der Betrieb derzeit in drei Lehrjahren, allein fünf davon kamen im vergangenen Herbst dazu. Neben zwei Metzgern werden momentan zwölf Metzgereifachverkäuferinnen und ein Metzgereifachverkäufer ausgebildet. Zuletzt waren lediglich zwei Abgänge zu verzeichnen. Einem taugte der Beruf dann doch nicht, eine junge Frau wechselte in das Friseurinnenfach. Gut angekommen sei übrigens ein besonderes Angebot: Wer nach Ablauf der Ausbildung noch mindestens ein Jahr im Unternehmen bleibt, dem spendiert Ottilinger den Autoführerschein. Auf die Förderung von Nachwuchs setzt auch die Firma Schlagmann Poroton. Insgesamt neun Berufsanfänger starteten beim Ziegelhersteller, zwei davon im Aichacher Werk, im Ausbildungsjahr 2016/2017 in ihre Lehrzeit. Daneben gibt es bei Schlagmann bereits 15 Auszubildende. In den Werken Zeilarn und Rötz bietet Schlagmann heuer zudem vier ausländischen Bewerbern die Chance für einen Neuanfang in Deutschland. Taha Al-Tekreeti und Fouad Al-Dulaimi sind als Geflüchtete aus dem Irak nach Deutschland gekommen und haben in Zeilarn eine Lehre als Elektroniker sowie als Industriemechaniker angetreten.