Riedenburg
Der Schöpfer des modernen Riedenburg

Vom Bauernbub zum Bürgermeister: Vor 100 Jahren wurde Josef Schneider geboren

05.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:56 Uhr

Gewaltige Herausforderungen musste Josef Schneider während seiner Amtszeit als Riedenburger Bürgermeister bewältigen. Dazu zählten die Folgen der Gebietsreform und der Bau des Main-Donau-Kanals.

Riedenburg (rat) In Josef Schneiders Leben spiegelt sich fast ein Jahrhundert deutscher Geschichte wider – mit all ihren Wirrungen und Katastrophen, aber auch dem Wirtschaftswunder und dem Aufbau einer funktionierenden Demokratie.

Der frühere Riedenburger Bürgermeister wurde am 7. Juli 1913 geboren. Er starb fast 90-jährig am 3. Februar 2003. Aus Anlass seines Geburtstages vor genau 100 Jahren blickt unsere Zeitung auf die ungewöhnliche Vita des Ehrenbürgers zurück, dessen Menschlichkeit und ausgleichendes Wesen noch heute mehreren Generationen von Riedenburgern gut in Erinnerung sind. Josef Schneider kam ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, in Offendorf in der Gemeinde Mindelstetten zur Welt. Er war der Sohn eines Landwirts in einem armen Bauerndorf, das damals gewiss noch im 19. Jahrhundert verhaftet war. Als Kind musste Josef Schneider bereits mit ansehen, wie die Soldaten von der Front nicht mehr zurückkehrten, die Frauen ihre toten Söhne und Männer beweinten.

Dem nationalen Trauma der Niederlage folgten die Revolution mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen und die Hyperinflation mit der Vernichtung aller Ersparnisse. Als junger Mann erlebte Schneider dann den Niedergang der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik, mit. Im Jahr 1933 kam Adolf Hitler an die Macht. Doch der 20-Jährige aus der bayerischen Provinz ließ sich vom anfänglichen Glanz des braunen Regimes und den Aufstiegsmöglichkeiten, die der Nationalsozialismus ehrgeizigen jungen Männern bot, nicht blenden. Er wurde nie Mitglied der NSDAP, sondern ging am 1. April 1933 als Berufssoldat zur Wehrmacht. Schneider blieb zwölf Jahre bei der Armee, davon sechs im Krieg, wobei er auch an der Ostfront kämpfte.

Am 11. Juli 1945 kehrte Josef Schneider aus der Gefangenschaft nach Hause zurück. Er kam in ein Deutschland, das wirtschaftlich, politisch und moralisch völlig zerstört war. Er wusste, dass man seine Jugend für eine politische Wahnsinnstat geopfert hatte.

Doch wie so viele aus der Generation der Kriegsheimkehrer war er beseelt vom Glauben an den Wiederaufbau, sowohl von Häusern, Unternehmen und Infrastruktur, als auch des politischen Systems. Schneider begann seinen Dienst im Riedenburger Landratsamt. Ab dem Jahr 1947 gehörte er dessen Personalrat an. So half er schon während der Nachkriegswirren bei der Errichtung einer funktionierenden Verwaltung.

In dem Wissen, dass der Staat nicht alle Probleme lösen kann, engagierte sich Schneider auch ehrenamtlich. Im Jahr 1949 gründete er mit Gleichgesinnten die Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgenossenschaft Riedenburg. Diese Vereinigung hatte sich zum Ziel gesetzt, die nach dem Krieg herrschende furchtbare Wohnungsnot zu lindern, und Wohnraum für die Flüchtlinge zu schaffen. 30 Jahre war Schneider der Vorsitzende der Genossenschaft, die während dieser Zeit 65 Häuser mit 217 Wohnungen errichtete.

Zudem setzte sich Schneider für den zivilen Bevölkerungsschutz im damaligen Kreis Riedenburg ein. Über viele Jahre gehörte er dem Pfarrgemeinderat an, unter anderem als dessen Vorsitzender. Er war Rechnungsführer der Kindergartenstiftung und Vorstandsmitglied im Vinzentiusverein. Sein ehrenamtlicher Einsatz wurde bereits im Jahr 1968 mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes belohnt.

Während der 1950er und -60 er Jahre arbeitete Schneider im Landratsamt eng mit dem damaligen Riedenburger Landrat Franz Lang zusammen. Der gebürtige Offendorfer war nur wenige Jahre älter als der gebürtige Mendorfer Lang. Beide kannten sich schon seit ihrer Jugend. Es war die Zeit einer nie erwarteten wirtschaftlichen Wiedergeburt der damaligen Bundesrepublik Deutschland. Auch der Landkreis Riedenburg blühte auf.

Doch im Jahr 1967 kündigte der damalige bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel (CSU) eine umfassende Landkreis- und Gemeindereform an. Diese brachte auch für den Kreis und die Stadt Riedenburg dramatische Änderungen, die das Berufsleben von Josef Schneider nicht unberührt ließen. Der Kreis Riedenburg wurde 1972 aufgelöst, und Landrat Lang ging in Pension. Doch dessen Mitarbeiter Josef Schneider eröffnete sich eine ganz neue Karrieremöglichkeit. Der beliebte und bekannte Riedenburger kandidierte als erster hauptamtlicher Bürgermeister der Dreiburgenstadt und wurde am 11. Juni 1972 mit überwältigender Mehrheit von den Bürgern gewählt. Sein Vorgänger war Friedrich Riemhofer gewesen.

Im Alter von fast 60 Jahren stand Schneider vor gewaltigen Herausforderungen. Einerseits musste Riedenburg den Verlust von sechs Behörden verkraften. Andererseits wurden bis zum Jahr 1978 insgesamt elf bislang selbstständige Gemeinden eingegliedert. Das konnte nur mit dem Ausbau und der Professionalisierung der Verwaltung bewältigt werden. Schneider ließ das ehemalige Finanzamt ankaufen, baute den noch heute genutzten Sitzungssaal an und schuf ein funktionierendes Rathaus. In zähen Verhandlungen kämpfte er um den Verbleib des Kreiskrankenhauses und der Polizeistation.

In diese Zeit fällt auch der Beginn seiner Zusammenarbeit, ja Freundschaft, mit Michael Schneider, der ihm 1984 als Stadtoberhaupt nachfolgte. „Ich habe nur die besten Erinnerungen an ihn“, versichert Michael Schneider. „Wir hatten ein respektvolles Verhältnis – auch wenn wir nie per Du waren.“ Trotz der 35 Jahre Altersunterschied habe es keinen Generationenkonflikt gegeben.

Michael Schneider war sechs Jahre Dritter und sechs Jahre Zweiter Bürgermeister unter Josef Schneider. „Er hat mich viel machen lassen – auch weil er regelmäßig für sechs Wochen zu seiner Tochter in die USA flog“, erzählt Michael Schneider. Er habe von der Lebenserfahrung des Älteren profitiert, und auch Gelassenheit gelernt. Zudem verband die beiden Schneider ein gemeinsames Laster: Tabak. „Ich habe damals so stark geraucht, wie er geschnupft hat“, berichtet Schneider lachend.

Gründe für eine beruhigende Zigarette oder Prise gab es oft genug. Denn damals erfolgte der Durchstich des Main-Donau-Kanals durch Riedenburg. Mit dem von Josef Schneider ausgelobten städtebaulichen Wettbewerb wurde der Grundstein für Riedenburgs künftige Optik gelegt, die sich bis heute kaum geändert hat. Damals brach der technologische Fortschritt mit aller Macht ins beschauliche Altmühltal. Josef Schneider wurde Gestalter einer Entwicklung, die er sich als kleiner Bauernbub und Rückkehrer aus dem Krieg sicherlich nicht hatte vorstellen können.

Michael Schneider hält das Andenken an seinen Vorgänger bis heute in Ehren. Im Schrank seines Büros bewahrt er eine große Schnupftabakdose auf, die einst Josef Schneider gehört hat. Und in der Tasche trägt er den Rathausschlüssel mit dem Ledertäschchen, den ihm Josef Schneider beim Stabwechsel 1984 in die Hand gedrückt hat.