Ingolstadt
Der Prügelkeller war 1933 nur der Anfang

In drei Seminaren jährlich schult Audi die Lehrlinge

20.07.2018 | Stand 02.12.2020, 16:02 Uhr
Stammhaus: Die alte Audi-Fabrik in Zwickau beherbergt das August-Horch-Museum, das sich auch ausführlich dem Zweiten Weltkrieg widmet. −Foto: Foto: Foto: Rehberger

Ingolstadt (reh) Als Peter Kober knapp zwei Stunden inklusive Pause (zum Bestaunen der Oldtimer) gesprochen hat, kommt eine Auszubildende auf ihn zu.

"Danke! ", sagt sie ausdrücklich. Vor allem für das, so fügt sie an, was der Mann von der historischen Abteilung des Audi-Konzerns zum Schluss gesagt hat. Es sind mahnende und aufrüttelnde Worte an die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die bei dem Weltunternehmen in der Lehre stecken. 20 von ihnen sitzen vor Kober auf sauber aufgereihten Stühlen inmitten der historischen Fahrzeugsammlung der Audi-Tradition in einer schmucklosen Halle im Ingolstädter Güterverkehrszentrum. Die Lehrlinge haben sich freiwillig gemeldet für eines der drei Seminare, die der Autokonzern jährlich mit Teilnehmern aus Ingolstadt und Neckarsulm abhält und dort das dunkelste Kapitel seiner Historie präsentiert. Den Auftakt bildet immer Kobers Rückblick inmitten der Horchs, DKW, Wanderer und Audis. Hier hören viele erstmals von der Vorkriegsgeschichte des heutigen Premiumherstellers, in der er noch als Auto Union firmierte und in Sachsen beheimatet war. Die Augen weiten sich, wenn etwa die Beinahepleite der vier eigenständigen Marken und die Zwangsheirat zu den Vier Ringen zur Sprache kommt. Das war 1932, ein Jahr später ergreifen die Nazis die Macht.

Kober erzählt vom Zwickauer Prügelkeller, der im Stadtschloss in Sichtweite des Horch- und des Audi-Werks untergebracht war und Schauplatz von grausamen Abrechnungen wurde. "Durchgelassen", so umschreibt er, was die Nazi-Schergen dort ihren verfeindeten KPDlern oder Gewerkschaftlern widerfahren ließen. Der oberste Gewerkschaftsführer Martin Hopp wurde am 11. Mai 1933 einfach totgeprügelt.

Und das in einer Stadt wie Zwickau, die durch die Automobilindustrie zu beachtlichem Reichtum gekommen war. Gründerzeitvillen am heutigen Dr.-Friedrichs-Ring (früher auch Adolf-Hitler-Ring) um die Altstadt zeugen noch heute davon. "Schaut sie euch an, wenn Ihr dort seid", sagt Kober. Und in so einem Ort bricht "die blanke Barbarei aus". 750 Sozialisten, Kommunisten und eben Gewerkschaftler wurden im Stadtschloss gezüchtigt. "Kollegen von uns sind da dringesessen! ", betont der Referent, da Zwickau damals war, wie Ingolstadt heute ist: durchs Auto privilegiert, wohlhabend. Und er weiß, dass viele aus seinem Publikum schon der IG Metall angehören. Ihre Hausmacht bei Audi ist heute gewaltig. Gewerkschaftsführer Martin Hopp wurde damals erschlagen. "Wer wäre das heute? ", fragt Kober in den Raum, und seine Worte hallen nach. Der Erste Bevollmächtigte Johann "Jackie" Horn, der im Audi-Aufsichtsrat sitzt? Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Peter Mosch? Ja!

Und noch eine Frage gibt er weiter an die Jung-Audianer: "Was hätte ich getan? " Was hätte jeder von Ihnen selbst getan? Und was tut er in einer Zeit, in der Donald Trump und europäische Machthaber den Nationalismus wiederentdecken und eine Politik der Ausgrenzung betreiben, in der die AfD im Bundestag sitzt und "rechte Parolen wieder gesellschaftsfähig werden", wie Kober feststellt. Eine Zeit, in der gezielt Falschmeldungen oder Propaganda verbreitet werden, wie einst über den Volksempfänger. Die Botschaft, die Kober transportiert, ist diese: Jeder solle die Quellen für seine Informationen prüfen und hinterfragen, wo zum Beispiel Meldungen auf Facebook herkommen.

Das ist der Punkt, wegen dem die junge Zuhörerin dem Referenten ausdrücklich dankt. Dann steigt die Reisegruppe in Kleinbusse und macht sich mit Betreuern auf die Reise zur KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und nach Zwickau, wo die Auto Union im Krieg eines ihrer sieben Arbeitslager für KZ-Häftlinge hatte. Kober gibt allen auf dem Weg: "Unser eigenes Unternehmen ist das beste Beispiel dafür, wo etwas hinführt, wenn man nicht die Hand hebt. "