stadtgeflüster
Der Prophet aus Gerolfing

14.07.2020 | Stand 02.12.2020, 10:58 Uhr

Ja gut, sicherlich.

Früher war alles besser. Und wenn einer etwas gesagt hat, dann stand er auch immer zu seinem Wort. Außer es gab eben gewichtige Gegenargumente, die einen zum Überdenken der eigenen Meinung führen konnten oder geradezu mussten. Etwa wenn sich Volkes Stimme erhob. Manchmal kam dann selbst der Standhafteste aller Männer in einen Gewissenskonflikt. Und selbst wer reinen Herzens ist, musste letztlich bei dem einen oder anderen Thema gleichzeitig dafür und dagegen sein.

Ja gut, sicherlich. Ausnahmsweise hatte es Horst Seehofer da am vergangenen Wochenende also durchaus leicht. Heimatliebe gegen Wählergunst - das musste er als Elder Statesman gar nicht abwägen, sondern konnte im parteipolitisch freien Raum operieren. Es ging ja auch nur im Fußball.

Ja gut, sicherlich. So mancher Zeitungsleser wird am Samstag bei der Lektüre der Heimatzeitung vielleicht laut aufgelacht haben, als das Porträtbild von Bundes-Horsti auch noch mit einem Text versehen war, der es in sich hatte. Aus Gerolfing sendete der Innenminister dieser Bundesrepublik das Signal hinaus: Schützend halte ich wie einst als Landesvater meine Hand über den heimischen FC Ingolstadt, der mit einem sensationellen 3:0 doch noch den Sprung in diese offenbar über alle Maßen bestrebenswerte 2. Fußball-Bundesliga schaffen wird. Auch wenn nach der klaren 0:2-Hinspielniederlage beim Club in Nürnberg kein einziger selbst erklärter Experte mehr einen Pfifferling auf die Schanzer gegeben hatte - auf Horst konnten sie zählen.

Ja gut, sicherlich. Dieser Meinung mussten sich 95 gespielte Minuten später alle anschließen. Wie konnten sie nur an jemandem zweifeln, der den ersten Anstoß im Audi-Sportpark vor genau zehn Jahren ausgeführt hat und unzählige Male den FC Bayern zu dessen Meisterfeiern in der Staatskanzlei empfangen hat? Dieser Mann musste doch mehr Sachverstand im linken Zeh haben als viele andere im gesamten Körper. Seehofer wieder for President! Dabei will er doch nach der Bundestagswahl nächstes Jahr von der öffentlichen Bühne verschwinden.

Ja gut, sicherlich. In dieser verhängnisvollen 96. Minute musste dann allen auf brutalste Weise klar werden, dass Horst Seehofers Wirken eben doch längst auf Berlin konzentriert ist und seine landesväterlichen Kräfte in der Heimat auf einen anderen übergegangen zu sein scheinen. Ein Stoßgebet (oder war es ein Anruf? ) von Ministerpräsident und Seehofer Nachfolger Markus Söder später und sein Club aus der Frankenmetropole erzielte in der Nachspielzeit der Nachspielzeit noch den goldenen Treffer.

Ja gut, sicherlich. Auch wenn der Fußball-Gott ein Franke ist: Jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken, wie ein anderer bekannter Franke namens Loddarmaddäus sagen würde. Nach der Relegation ist vor dem Direktaufstieg. Horst drückt beiden Daumen!

reh