München
"Der Papa weiß Bescheid"

Angeklagter Henning L. berichtet im Audi-Prozess, wie sie sich den Dieselbetrug schönredeten

01.12.2020 | Stand 23.09.2023, 15:47 Uhr
Der sogenannte Diesel-Prozess in München wird bereits an diesem Mittwoch fortgesetzt. Ex-Audi-Chef Rupert Stadler kommt aber erst im Januar zu Wort. Zuvor soll der frühere Chef der Audi-Motorenentwicklung Wolfgang Hatz (Mitte) - hier ein Foto vom zweiten Prozesstag - gehört werden. −Foto: Schrader, dpa

München/Ingolstadt - Der 13. Prozesstag im Münchner Audi-Prozess entwickelte sich am Dienstag über weite Strecken zum Technikdialog zwischen dem Angeklagten Henning L. , dem Vorsitzenden Richter Stefan Weickert und seinen Beisitzern. Der Verlauf zeigte noch einmal auf erschreckende Weise, wie lange die illegalen Manipulationen an den Abgasanlagen zurückreichten, und wie selbstverständlich viele Audi-Beschäftigte damit umgingen. Dabei war schon ab etwa 2008 klar, dass hier manches nicht gesetzeskonform war. Neben L. sitzen sein Ex-Chef Giovanni P. , der frühere Porsche-Vorstand und ehemalige Chef der Audi-Motorenentwicklung, Wolfgang Hatz, sowie Ex-Audi-Chef Rupert Stadler auf der Anklagebank. Der Vorwurf landet unter anderem auf Betrug.

 

Der 53-jährige L. hatte in seinen mehrtägigen Einlassungen alles auf den Tisch gelegt, was zu den Machenschaften geführt hatte. Er schonte dabei auch sich selbst nicht und steht zu seiner Verantwortung. Einzig wenn es um konkrete Namen ging, wer denn nun was angeschafft und zu verantworten hatte, blieb er eher diffus. Vorsitzender Richter Stefan Weickert hielt ihm am Dienstag den Inhalt diverser E-Mails vor, um L. s eigene Rolle zu beleuchten. Ja, er habe geahnt oder gewusst, dass was nicht stimmte, nicht aber, was da genau geschah, sagte L. Immer wieder habe man erreichen wollen, dass die Testergebnisse auf der Rolle den Abgaswerten im Alltag auf der Straße entsprachen, doch dann seien die Grenzen der Technik stets größer gewesen. Daher war mit "intelligenten Lösungen" nachgeholfen worden. Man habe sich - rechtlich gesprochen - lieber eine "stabile Grauzone" erhalten, wie es in einem Dokument von 2013 heißt.

"Es war allen klar, dass es irgendwann auffliegt. Wir nannten es vielleicht nicht Defeat Device, sondern Cycle Beating, aber es war allen bewusst, dass es ein Schwindel war", sagte der ehemals für die Abgasnachbehandlung zuständige Angeklagte L. Jede Werkstatt hätte das aufdecken können, es sei schon "fahrlässig gewesen", was da geschehen sei. Aber Giovanni P. als ihr damaliger Chef habe sie alle beruhigt und gesagt, er habe "mit dem Hatz telefoniert", also die Ebene eins darüber eingebunden. Für sie sei das etwa so gewesen wie "Der Papa weiß Bescheid, und der Opa auch", erklärte Henning L. der Strafkammer. "Irgendwann ist das dann nicht mehr so schlimm, alle da oben wissen ja Bescheid", beschrieb er seine Gefühle von damals. Da habe er dann wieder etwas ruhiger schlafen können. Die erste Einvernahme von Henning L. ist damit beendet.

 

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Der Prozess hatte an den letzten beiden Verhandlungstagen ausnahmsweise nicht im Hochsicherheitssaal der JVA Stadelheim, sondern in den historischen Mauern des Justizpalasts im Zentrum Münchens stattgefunden. Passend zum Thema des Verfahrens waberte beim Lüften zur Mittagspause ein wenig Dieselabgas vom Stachus in den rund acht Meter hohen Saal 134, wo seinerzeit schon Uli Hoeneß in seiner Steuersache vor Gericht gesessen war. Unter der Decke befindet sich ein Figurenfries des Münchner Bildhauers Robert Lippl von 1959. Es zeigt einen Querschnitt durch die Geschichte der Rechtsprechung, beginnend mit der Hand Gottes als Erinnerung daran, wie die ersten Menschen sein Gesetz missachteten. Die Bilder reichen über griechische und römische Zeiten bis in die Neuzeit. Ob den Beteiligten die Muse blieb, sich mit diesen Darstellungen auseinanderzusetzen, erscheint eher fraglich. Die Hauptverhandlung wird diesen Mittwoch in der JVA Stadelheim fortgesetzt.

DK

Horst Richter