Berlin
Der nächste Armutsbericht enthält viel politischen Zündstoff

Zahlen belegen wachsende Ungleichheit bei Vermögensverteilung Arbeitsministerin Nahles warnt vor "Oligarchie der Reichen"

09.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:12 Uhr

Berlin (DK) Wie steht es um Armut und Reichtum in Deutschland? Alle vier Jahre muss die Bundesregierung dazu einen Bericht vorlegen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat nun erste Befunde zusammenstellen lassen und im Internet veröffentlicht. Ihre Schlussfolgerungen lässt sie nun innerhalb der Bundesregierung abstimmen - mit Blick auf das Superwahljahr 2017 könnte sich daraus jede Menge politischer Zündstoff ergeben.

Kürzlich bereits hatte Nahles erklärt, es gebe inzwischen "eine Oligarchie der Reichen in diesem Land". Wer reich geboren werde, werde ziemlich sicher noch reicher sterben. Kinder arbeitsloser Eltern mit niedrigem Bildungsstand hätten dagegen nur geringe Aufstiegschancen. "Das darf nicht so bleiben", so die SPD-Politikerin. "Sonst entwickelt sich ganz oben und ganz unten eine neue Kastengesellschaft."

Tatsächlich liefert Nahles' Zahlenwerk bemerkenswerte Langfrist-Befunde: So hat die Ungleichheit bei der Vermögensverteilung zuletzt zugenommen. Die oberen zehn Prozent der Haushalte verfügten nach den jüngsten Daten 2013 über 51,9 Prozent des Nettovermögens, zehn Jahre zuvor waren es noch 49,4 Prozent. Die unteren 50 Prozent der Haushalte verfügten 2013 nur über ein Prozent des Nettovermögens, 2003 waren es noch 2,6 Prozent. Laut Bundesarbeitsministerium ist die Armutsrisikoquote außerdem leicht gestiegen. Dabei geht es um den Anteil derer, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen müssen. Waren es 2008 noch 15,9 Prozent gewesen, so stieg der Anteil 2013 auf 16,7 Prozent.

Es zeigt sich darüber hinaus, dass Arbeit nicht immer vor niedrigen Einkommen schützt: Der Anteil derer, die im Vorjahr mindestens sechs Monate gearbeitet hatten und dennoch von Armut gefährdet waren, nahm zwischen 2008 und 2013 leicht von 7,3 auf 7,9 Prozent zu. Der Anteil der Gut- und Spitzenverdiener blieb dagegen nahezu konstant. 2008 hatten 7,6 Prozent der Bevölkerung mehr als das Doppelte des mittleren Einkommens zur Verfügung, 2013 waren es 7,7 Prozent.

So sieht Nahles das Problem insbesondere bei der Vermögensverteilung in Deutschland. Große Vermögen würden größtenteils vererbt. "Da ist kein Bezug zur eigenen Leistung erkennbar", so die SPD-Politikerin. "Das ist gefährlich, denn wir leben in Zeiten, in denen sich immer mehr Menschen von den Eliten dieses Landes nicht mehr vertreten fühlen und sich von ihnen abwenden." Über Jahre hinweg sei "ein sozialer Sprengstoff entstanden, der den Zusammenhalt in unserem Land ernsthaft gefährdet".

Nicht nur bei den Sozialdemokraten wird bei der Vorbereitung des Wahlprogramms für die Bundestagswahl über eine Vermögenssteuer und eine stärkere Besteuerung von Erbschaften debattiert. Wie die Zahlen des neuen Armuts- und Reichtumsberichts zu bewerten sind, dürfte auch innerhalb der Bundesregierung noch für heftige Diskussionen sorgen. Schließlich muss der Bericht zwischen den Ressorts abgestimmt werden.

Legendär sind die Auseinandersetzungen, die sich der damalige Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) mit Ursula von der Leyen (CDU), seiner Amtskollegin aus dem Sozialressort, beim letzten Armuts- und Reichtumsbericht geliefert hatte. Bis zur letzten Minute war um einzelne Formulierungen gefeilscht worden. Nahles steht wohl Ähnliches bevor. Diesmal ist jedoch nicht mit Widerstand aus dem Wirtschaftsministerium zu rechnen, denn das wird ja von SPD-Chef Sigmar Gabriel geführt. Die meisten Einwände dürfte es wohl aus dem Kanzleramt geben.