Der musiksüchtige Intendant

16.03.2009 | Stand 03.12.2020, 5:07 Uhr

Vorliebe für das französische Repertoire: Peter Theiler eröffnete seine erste Spielzeit 2008 mit "Benvenuto Cellini" von Hector Berlioz. - Fotos: oh

Nürnberg (DK) Peter Theiler (52), der neue Nürnberger Staatsintendant und Operndirektor, hatte in der fränkischen Stadt einen nicht ganz gelungenen Start. Bereits bevor er seinen Posten antrat, ließ er verlauten, er hätte eine Abneigung gegen die Musik Richard Wagners und wolle vorerst keine weiteren Musikdramen des Romantikers auf die Bühne bringen.

Was für ein Fehler! Ausgerechnet in der Staatsoper am Richard-Wagner-Platz sollte es keine Opern des genialen Musikdramatikers mehr geben? Wo die Werke Wagners doch Markenzeichen des Nürnberger Kulturlebens sind, besonders "Die Meistersinger von Nürnberg". Theiler aber fühlte sich missverstanden, erklärte schnell, dass er durchaus auch Wagner ins Programm nehmen würde. Gleich seine zweite Spielzeit soll mit dem "Tannhäuser" eröffnet werden. Aber: Mit Wagner will Theiler nicht wirklich punkten. Die Opern des Franken wurden in den vergangenen Jahren schon ausgiebig interpretiert, da sieht er keinen Nachholbedarf. Zudem leidet dieses Genre am zunehmenden Mangel an geeigneten Sängern. Theiler sieht da kaum eine Chance, gelungene und vor allem konkurrenzfähige Produktionen zwischen den Wagner-Hochburgen Bayreuth und München auf die Bühne zu bringen.

Auch mit dem anderen Hausheiligen der Nürnberger, mit Christoph Willibald Gluck, kann der neue Intendant nicht allzu viel anfangen. Bisher hat er noch kein Werk des Opernreformers produziert. Das plant er erst für die kommenden Spielzeiten. Am Gluck-Festival will der Operndirektor allerdings festhalten, konzeptionell soll es aber weiterentwickelt werden. Komponisten, die der Deutsche maßgeblich beeinflusste, will er ins Programm integrieren – zum Beispiel Berlioz.

Profil zeigen möchte Theiler, der so glatt-seriös aussieht wie ein Bank-Manager und doch ziemlich ungeschützt drauflos redet, mit ganz anderen in Deutschland eher selten aufgeführten Opern: mit dem französischen Repertoire. Wenn man die Biografie des Schweizer Opernfachmanns betrachtet, ist das nicht verwunderlich. In Nürnberg wird er es mit dieser Idee aber nicht leicht haben. Zu sperrig, zu ungewohnt sind die Opern von Berlioz, Meyerbeer und all den anderen Protagonisten der "Grand opera". In Nürnberg hat Theiler seine erste Spielzeit gleich mit einer Berlioz-Oper eröffnet, mit "Benvenuto Cellini". Die Produktion erwies sich als nicht uninteressant, das Publikum konnte mit dem ungewöhnlichen Opernstoff allerdings nicht allzu viel anfangen und strafte das neue Konzept mit Verweigerung.

Peter Theiler, dessen Verdienste für die französische Kultur vom französischen Kultusminister unter anderem mit der Ernennung zum "Chevalier de L’ordre des Artes et Lettres" gewürdigt wurden, ist es gewohnt, originelle Programme zusammenzustellen. Zuletzt war er jahrelang in Gelsenkirchen Generalintendant. Im dicht besiedelten Ruhrgebiet ist es wichtig, sich vom Konzept der oft nur wenige Kilometer entfernt liegenden konkurrierenden Musentempel abzugrenzen. Die bayerischen Verhältnisse sind Theiler da ein wenig fremd. Hier sollte er einen gut sortierten Gemischtwarenladen des Opernrepertoires bieten, schließlich hat man in Nürnberg kaum Möglichkeiten, auch ein anderes Opernhaus zu besuchen.

Ein wenig versucht Theiler, diesem Bedürfnis bereits entgegenzukommen. So lässt er die beliebten italienischen Opern spielen ("die gehören in jedes Opernrepertoire") und natürlich auch Mozart. Aber er hat auch einen Blick auf Entlegenes geworfen: Der so genannten "entarteten Musik" von Korngold, Schreker und Krenek will er Werken des eher arrivierten Zeitgenossen Richard Strauss gegenüberstellen – ein interessanter Gedanke gerade im Umfeld eines so problematischen Ortes wie dem Reichsparteitagsgelände. "Das muss man den Nürnbergern zumuten können", sagt Theiler. Hier beweist der neue Intendant zweifellos Sensibilität für den Charakter eines Ortes.

Und der hochintelligente Theaterleiter zeigt, dass er über umfassende musikgeschichtliche Bildung verfügt. Kein Wunder: Theiler ist von Jugend an vom Virus Musiktheater infiziert. Eine Initialzündung erlebte er als "etwa Zwölfjähriger" ausgerechnet bei einer Aufführung von Bartoks schwieriger Oper "König Blaubarts Burg". Nicht selten besuchte er in seiner Heimatstadt Basel seitdem über zehn Mal die gleich Inszenierung, von der "Macht des Schicksals" (Verdi) sah er sämtliche Aufführungen einer Produktion. Bereits als Student bewarb er sich als Hospitant und später als Regieassistent, unter anderem bei Klaus Zehelein in Frankfurt, wo er die Inszenierungen von Ruth Berghaus mitbetreute.

Aufgrund seiner Auslandserfahrung ist Theiler ein begeisterter Anhänger des deutschen Ensemble-Theaters. Auf seiner Bühne will er keine kurzfristig eingeflogenen Sängerstars sehen, die, unter Missachtung aller Regie, bewegungsarm hohe C in den Saal brüllen. Er setzt auf intelligente Inszenierungskonzepte und auf die lokalen Sängergrößen. "Auch wir haben hier lokale Stars", sagt er. Und er hofft, in Premierenfeiern den Kontakt zwischen Publikum und den Künstlern im Haus herstellen zu können. "Nur so werden sich die Nürnberger mit ihrem Opernhaus auf Dauer identifizieren können." Und Theiler glaubt an seine Sänger, die er teilweise aus Gelsenkirchen mitgenommen hat, und deren Karrieren er behutsam entwickeln will.

Unglücklich ist Theiler über die völlig marode Bühnentechnik, die teilweise noch auf dem Stand des frühen 20. Jahrhunderts ist, als das Haus gebaut wurde. "Nach der Sanierung des Schauspielhauses werden wir in einigen Jahren hier eine Renovierung in Angriff nehmen müssen." Für die Zukunft plant er auch die Produktion einer Mayr-Oper. "Wir werden selbstverständlich die frühromantische italienische Oper pflegen. Und da stellt sich fast von selbst die Frage der Herkunft dieser Werke. Und hier kommt Mayr ins Spiel." Sofort greift der Nürnberger Theaterchef ins Regal und holt eine CD heraus: Simon Mayrs "Ginevra in Scozia". "Mit dieser Oper beschäftige ich mich gerade sehr intensiv", sagt er und lächelt dabei vielsagend.