Der letzte Romantiker

25.04.2010 | Stand 03.12.2020, 4:04 Uhr

Schwierige Liebesgeschichte: Nietzsche (Kai Günther) und Lou Salome (Gesche Geier) in "Zarathustra". - Foto: Theater Regensburg

Regensburg (DK) Es dauerte lange am Samstagabend, bis Franz Hummel zusammen mit seiner Librettistin und Ehefrau Sandra Hummel auf der Bühne des Theaters Regensburg erschien, um sich zu verbeugen. Sicher: Zuvor wurde freundlich applaudiert und hin und wieder ertönten auch Bravo-Rufe für die Sänger der Oper "Zarathustra". Aber als der Komponist auftauchte, brach endlich ohrenbetäubender Jubel los.

Der gewaltige Publikumserfolg der Oper "Zarathustra" kommt nicht von ungefähr. Sandra und Franz Hummel haben ein im höchsten Maße abwechslungsreiches, tiefgründiges, ja, unterhaltsames Stück Musiktheater geschrieben. Die Opernbiografie konzentriert sich dabei auf zentrale Momente im Leben des Philosophen und spitzt sie effektvoll zu: die Jugend in bürgerlicher Enge, die komplizierte Beziehung zu Richard Wagner, die unglückliche Liebe zu Lou Salome, das diffizile Verhältnis zur Schwester Elisabeth und schließlich die geistige Umnachtung, die die Welt aus den Fugen geraten lässt. Dazwischen tauchen in einer zweiten Erzählebene immer wieder wie Gespenster aus einer anderen Welt Zarathustra und ein Seiltänzer auf.

 
Glühende Dissonanten

Franz Hummel hatte im Programmheft bereits angedeutet, dass ihm in seiner Komposition eine Art Hommage an die Zeit der Romantik vorschwebt – ein Anspruch, den er vom ersten Takt an auf höchst spannende Art einlöst. Natürlich: Hummel bleibt ein zeitgenössischer Komponist, dem es fern liegen würde, unreflektiert die Musik des 19. Jahrhunderts wieder aufleben zu lassen. Dennoch ist seine Musik durchdrungen von allem, was Romantik ausmacht. Schon die Ouvertüre ist ein Beispiel dafür. Aus düster glühenden Dissonanzen schälen sich schwelgerische Moll-Melodien und gebrochene Akkorde heraus bis sogartig der Musikstrom in ein Klopfmotiv der Pauken mündet: ein typisch romantischer Gedanke, wie wir ihn seit Beethovens Fünfter kennen und der die Unaufhaltsamkeit des Schicksal andeutet.

Im weiteren Verlauf der Oper erweist sich Hummel als komponierendes Chamäleon: Es scheint nichts zu geben in der Musikgeschichte, in das sich der Altmannsteiner Komponist nicht hineindenken kann, das er nicht zu verarbeiten oder zu imitieren vermag. Da sind Anspielungen an Wagner zu hören, an Brecht/Weill-Songs und den frühen Jazz. Manche Arien haben das berückende Melos romantischer Kunstlieder und sind doch "moderne" Musik. Wenn Nietzsches Wagner-Euphorie verfliegt, sind plötzlich "Carmen"-Anspielungen zu hören. Nietzsches Enttäuschung über den "Tristan"-Komponisten drückt sich in einer Abkehr von der Neudeutschen Schule aus: Zu hören sind die eher "altmodischen" Klänge eines späten Brahms-Klavierstücks, übermalt von schrill-klagenden Streicher-Dissonanzen. Hummel als stilfreien Komponisten zu bezeichnen, ist dennoch irreführend. Jeder Takt klingt so, dass ihn nur Hummel komponiert haben könnte. Es ist Musik auf der Höhe der Zeit, immens komplex, bewunderungswürdig intelligent und abwechslungsreich. Und vor allem: Sie ist bei aller Modernität durchdrungen von einem romantisch-schwärmerischen Grundton. Vielleicht ist Hummel der letzte Romantiker, vielleicht ist seine Musik die Fortsetzung der Musik seines Mentors Richard Strauss.

Zumindest aber kennt Hummel (wahrscheinlich mehr als die meisten anderen zeitgenössischen Komponisten) das Erfolgsrezept der Opernmusik. Er schöpft aus der Tradition und synthetisiert das, was 300 Jahre lang die Oper ausmachte. In "Zarathustra" gibt es Ballett-Szenen (vorzüglich choreografiert von Olaf Schmidt), Arien, Duette, Sprechgesang, gesprochene Passagen, tragische Konflikte, mitreißend Orchesterzwischenspiele und Bühnenzauber. Vor allem aber gelingt es ihm, geschickt mit dem tragischen Geburtsfehler dieser Gattung umzugehen: Bei Hummel kann man der Handlung immer folgen, weil er so komponiert, dass man die Sänger in entscheidenden Momenten verstehen kann. Die Obertitel sind somit fast entbehrlich.

Einfallsloses Finale

Regisseur Ernö Weil und seine Bühnenbildnerin Karin Fritz inszenieren das Musikdrama mit fast schauspielhafter Vitalität. Karin Fritz hat schwarz-weiße Wände konstruiert, die auf der Drehbühne in immer neuen Arrangements für alle Situationen einprägsame Bilder liefern: für die Enge von Nietzsches Elternhaus genauso wie für die aus den Fugen geratene Welt, wenn der Philosoph dem Wahnsinn verfällt.

Fast durchweg wird auf relativ hohem Niveau gesungen, vom Orchester unter der Leitung von Tetsuro Ban mit einfühlsamer Präzision begleitet und auf noch höherem Niveau geschauspielert. Herausragend agieren besonders Kai Günther als Nietzsche, Anna Fischer als Cosima Wagner, Gesche Geier als Lou Salome und Lea-Ann Dunbar als Elisabeth Nietzsche, während Markus Ahme mit seinem unfokussierten Tenor als Richard Wagner enttäuscht.

Musikalisch und szenisch etwas einfallslos gerät das Finale der Oper: Nietzsche sitzt im Irrenhaus, die Musik mäandert im atonalen Chaos und der Philosoph gibt noch schnell einige letzte Weisheiten von sich bis er zuletzt "Gott ist tot" brüllt. Möglicherweise wäre es besser gewesen, wenn die Regie die beiden gestrichenen letzten Szenen der Oper auch noch auf die Bühne gebracht hätte. Vielleicht hätte man da dem genialischen Theatermenschen Hummel vertrauen sollen.