Pförring
Der letzte Gerber aus Pförring

Helmut Strobel gab seinen Beruf vor vier Jahren auf - Nun wurde das Handwerksgebäude abgerissen

07.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:43 Uhr
Einen Einblick ins Gerberhandwerk gewährten Helmut Strobel (vorne mit Scherdegen) und dessen Vater Stefan (hinten beim Auskämmen der Felle) 1991 im Rahmen der 1850-Jahrfeier des Marktes Pförring auf dem Marktplatz (oben). Das stattliche Gerberanwesen auf dem ehemaligen Marktgraben - hier auf einem Foto von 1906 (unten links) - wurde inzwischen abgebrochen . Die historische Hammerwalke hat Martin Liebold für das Ingolstädter Stadtmuseum gesichert. −Foto: Mayer/Kügel/Privat

Pförring (DK) Die Gerberei Strobel in Pförring war bis vor wenigen Jahren bei Schäfern und Jägern in der ganzen Region bekannt. Jetzt wurden die Gebäude abgerissen. Von dem einst florierenden Handwerk bleibt nur eine seltene Maschine - eine Hammerwalke fürs Stadtmuseum Ingolstadt.

Wie Generationen vor ihm hat Helmut Strobel das Gerberhandwerk von seinem Vater gelernt. Auf der Gerberschule in Reutlingen hat er sein Fachabitur gemacht, seine Ausbildung 1979 als Lederingenieur und mit 20 Jahren als jüngster Gerbermeister Deutschlands abgeschlossen. "Die Gerbertaufe fand am 15. Februar bei minus 16 Grad statt", erinnert sich Strobel heute lebhaft. Danach kehrte er in den Betrieb seines Vaters Stefan zurück. "Wir hatten immer die neuesten Maschinen und waren bundesweit die ersten, die ein neues, chromfreies Gerbverfahren eingeführt haben", erzählt der 59-Jährige gern.

Trotzdem blieb das Gerben eine schwere Handarbeit. "Ein Fell muss man so oft in die Hand nehmen, wie ein Jahr Tage hat", zitiert Strobel eine alte Gerberweisheit. In der sogenannten Wasserwerkstatt wird jedes Fell gewaschen, entfleischt - der Abfall, das Unterhautbindegewebe wird von der Kosmetikindustrie als Collagen verwertet, ergänzt Strobel mit einem Schmunzeln - und schließlich gegerbt. Das Verfahren hängt von der künftigen Nutzung ab, erklärt der Fachmann. Lohegerbung mit Eichenrinde gibt gute Schuhsohlen. Für Autoleder kommt Chromgerbung zum Einsatz. Lederhosen sind sämisch gegerbt. Felle gerbt der Weißgerber. All diesen Verfahren sei eines gemeinsam, erklärt Strobel: Sie stoppen den Verwesungsprozess. Danach kommt noch die "Zurichtung" fürs Auge. "Aus einer Wildsaudecke wird zwar kein Zobel, aber glatt und glänzend muss auch sie sein", lacht Strobel.

Den größten Anteil machte "beim Strobel" das Lohngerben von Schaffellen aus mit Partien bis zu 400 Stück. "Das schönste Wollvlies hatten die Felle vom Kühner Karl, die hab ich schon von Weitem erkannt", sagt der Fellkenner. Der Rest waren Jagdtrophäen, darunter auch viele von noblen Jagdgästen der Wittelsbacher. Das Gerben von Wildschweinfellen sei eine echte "Schinderarbeit", seufzt Strobel heute noch beim Gedanken an die Schwarzkittel. Die Haut eines Keilers könne bis zu 100 Kilogramm wiegen. Da sei es eine echte Kunst, mit dem Scherdegen kein Loch reinzuschneiden. "Das konnte der Decassian Rudi besser als ich", zollt er einem ehemaligen Mitarbeiter Respekt.

Eine Sünde sei es, dass heute wegen des negativen Images von echtem Fell die Jäger die Fuchsbälge lieber vergraben würden, als sie gerben zu lassen, schimpft Strobel. Und noch eins kann er nicht verstehen: die Geiz-ist-geil-Mentalität. "Ein gutes Schaffell kostet halt 55 bis 60 Euro, aber ich lege doch meinem Enkerl keine Billigware in den Kinderwagen." Er selbst schläft bis heute auf einem Schaffell. "Das hält im Winter warm und im Sommer nehmen die Fibrillen den Schweiß auf." Einige wenige von ihm gegerbte Felle gibt's noch im Bekleidungsgeschäft seiner Schwester. Das ausgefallenste Stück, das er jemals gegerbt habe, sei eine Schlangenhaut gewesen, erzählt Strobel. Die Anakonda, eine exotische Jagdtrophäe, wurde in Salz eingelegt aus Südamerika geliefert und war ausgerollt so lang wie die Gerberei breit, staunt Strobel noch heute.

Vor vier Jahren musste der Gerbermeister seinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen an den Nagel hängen. Jetzt wurden die Gebäude im ehemaligen Marktgraben zwischen Römergasse und Nördlicher Ringstraße abgerissen, auf dem Grundstück entstehen zwei Mehrfamilienhäuser. "Weil wir mit biologisch abbaubaren Wasch-, Gerb- und Fettungsmitteln gearbeitet haben, wurden beim Aushub keine Schadstoffe gefunden", betont der Gerbermeister.

Lange Zeit hat Strobel vergeblich nach einem Museum für seine Hammerwalke gesucht, eine alte Maschine, die sein Großvater schon als Heiratsgut aus Geisenfeld mitbrachte, als er in die Gerberei Gassner in Pförring einheiratete. Inzwischen steht das Unikum, das den Fischtran mit viel Getöse in die Felle hämmerte, bevor es in den 1950er-Jahren vom Gerbfass abgelöst wurde, im Depot des Stadtmuseums in Ingolstadt. Dort ist man nun auf der Suche nach einem Film, den der leidenschaftliche Schmalfilmer Stefan Strobel über seinen Betrieb gedreht hat, den aber ein Entleiher bis heute nicht an die Familie Strobel zurückgegeben hat.