RÜCKBLICK
Der lange, harte Kampf um die Fußgängerzone

24.07.2018 | Stand 02.12.2020, 16:00 Uhr

Spätestens am siebten Tag wird alles wüst und leer sein.

Mindestens! Wenn es nicht sogar noch schlimmer kommt. Das Ende war nah. Es kündigte sich unvorstellbarer Schrecken an: Der Ingolstädter Oberbürgermeister wollte ganz im Ernst eine Zone schaffen, in der keine Autos fahren dürfen. Und das mitten in der Stadt! O Herr, steh' uns bei!

In derart apokalyptischer Stimmung fanden sich viele Innenstadthändler vereint, als OB Peter Schnell kurz nach seinem Amtsantritt 1972 eine kühne Idee präsentierte: Er wollte seine Stadt mit einer so genannten Fußgängerzone aufwerten; in der Bundesrepublik war das ebenso neu wie selten. Der Weg zu einer verkehrsberuhigten Einkaufsstraße führte in Ingolstadt über ein Minenfeld.

OB Schnell versprach sich von einer Fußgängerzone mehr Leben und Kaufkraft im Stadtzentrum. Das bot bis Mitte der 1970er-Jahre ein fürchterliches Bild. Altbausanierung oder gar Denkmalschutz waren Fremdwörter. Das Odeur von Kohleöfen zog durch triste, verstopfte Straßen. Am Schliffelmarkt, also vor der Oberen Apotheke, kreuzten sich die B13 und die B 16. Das kann man sich heute wirklich nicht mehr vorstellen.

Die Bewohner flohen zu Tausenden aus der Altstadt. Wer es sich leisten konnte, baute sich ein Haus in der Peripherie oder zog ins neue Piusviertel. Audi kurvte am Rande des Abgrunds herum. Ingolstadt gehörte zu den ärmsten Städten Bayerns.

Doch Schnells Pläne stießen auf Widerstand. Wilhelm Reissmüller, der damalige DK-Verleger, zog sehr meinungsfreudig gegen die Fußgängerzone zu Felde. Mehrfach ließ er im Lokalteil eine Postkarte zum Ausschneiden drucken, auf der die Leser ihre Meinung zu Schnells Projekt kund tun und der Redaktion schicken konnten. Die ablehnenden Beiträge überwogen deutlich. Ein DK-Leser aus Haunwöhr schrieb etwa: "Die ganze Zone ist ein Schmarrn! Geeignet für Rentner, Leute mit viel übriger Zeit, streunende Jugendliche und Gammler! Wer lustwandeln will, soll in unsere schönen Grünanlagen gehen! "

Ein Kommentator des DK beflügelte die Meinungsbildung der Leser mit diesen Worten: "Die Bürger haben ein Recht mitzubestimmen, ob unsere altehrwürdige Stadt mit einem Strickmuster überzogen werden soll! Und von Disneyland entliehen ein Kasperlthe-ater, Lämpchen, Treppchen, Pyramidchen. Über allem noch ein Glockenspiel auf dem Dach des Neuen Rathauses. "

Ganz so schlimm kam es dann doch nicht. Die Fußgängerzone wurde 1976 eröffnet - und gleich ein großer Erfolg.