Bergheim
"Der Krieg ist allgegenwärtig"

Kriegervereinsvorsitzender und Militärpfarrer erklären, warum der Volkstrauertag wichtiger ist denn je

16.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:59 Uhr
Katrin Kretzmann
In Eigenregie hat der Bergheimer Krieger- und Soldatenverein das Denkmal im Gemeindefriedhof hergerichtet. Diesen Sonntag werden dort wieder Kränze niedergelegt, und es wird der Gefallenen der beiden Weltkriege gedacht. −Foto: Schneider/Kretzmann

Bergheim (DK) Er gehört zu den stillen Tagen. Kränze werden niedergelegt und der Opfer von Krieg und Gewalt wird gedacht. Aber ist der Volkstrauertag noch zeitgemäß? Müssen die alten Wunden nach all den Jahren immer wieder aufgerissen werden? Bergheims Kriegervereinsvorsitzender Matthias Kaufmann und Militärpfarrer Gunther Wiendl sind sich einig: Der Volkstrauertag ist heute wichtiger denn je.

"Wir leben zwar in einem friedlichen Land, aber blickt man auf andere Teile der Welt, zum Beispiel nach Syrien, stellt man fest, dass der Krieg allgegenwärtig ist", sagt Matthias Kaufmann, Vorsitzender des Bergheimer Krieger- und Soldatenvereins. Natürlich soll am Volkstrauertag "all der jungen Burschen, die damals während der Kriege mitten aus dem Leben gerissen wurden" gedacht werden. Doch der Tag soll zugleich auch eine "Mahnung an alle sein, dass aus den beiden Weltkriegen nichts gelernt wurde". In vielen Teilen der Welt keime ein rechtspopulistischer Druck und ein Umsturz von Regierungen könne das Thema Krieg ganz schnell wieder aktuell werden lassen. "Bei uns ist es allein schon durch die massiven Ströme von Flüchtlingen und Vertriebenen präsent", sagt Kaufmann.

Mit seinen 39 Jahren passt Kaufmann eigentlich nicht in das typische Rollenbild eines Vorsitzenden eines Krieger- und Soldatenvereins, sind diese in der Regel doch deutlich älter. "Ich glaube fast schon, dass ich zu den jüngsten in ganz Bayern gehöre." Er habe zwar nicht gedient, aber "ich war schon immer sehr geschichtsinteressiert und bin es noch immer". Zudem ist ein Verwandter von ihm - der ebenfalls Matthias Kaufmann hieß - im Ersten Weltkrieg gefallen. "Das hat mich sehr bewegt." Für Kaufmann ist es wichtig, das Gedenken aufrechtzuerhalten, "die Menschen wachzurütteln, dass es uns ohne Krieg gut geht - und das seit mehr als 70 Jahren."

Auch wenn die Zeit des Nationalsozialismus schon lange her ist, werden Krieger- und Soldatenvereine immer wieder in die rechte Ecke gesteckt, wie Kaufmann bestätigt. "Das merken wir auch, wenn für die Kriegsgräberfürsorge Geld gesammelt wird", sagt der Vertriebsleiter einer Brauerei. Da werde dann sofort die Türe wieder zugeschlagen und diejenigen, die sammeln, werden als Nazis beschimpft. "Das ist leider noch das Erbe des Heldengedenktags."

In diesem Erbe sieht auch Militärpfarrer Gunther Wiendl ein Problem: "Der ursprüngliche Heldengedenktag haftet dem Ganzen immer noch ein bisschen an", sagt der evangelische Seelsorger des Neuburger Geschwaders. Das sorge für Unbehagen bei den Menschen. Er selbst sei in den Anfängen seiner beruflichen Laufbahn auch nicht angetan gewesen, zu den Gedenkfeiern zu gehen. Doch dann sei ein Sinneswandel gekommen: "Ich dachte mir, dass dieser Tag eine gute Gelegenheit ist, um über bestimmte Dinge nachzudenken, sich zu besinnen, denn: Wer die Gegenwart verstehen will, muss bei der Geschichte in die Lehre gehen."

Zwar diene der Tag als Möglichkeit, kollektiver Trauer einen Ort zu geben und neben den gefallenen Soldaten auch derer zu gedenken, die - nicht nur zwischen 1914 und 1918 sowie 1939 und 1945 - Opfer von Krieg, Terror und Gewalt geworden sind oder noch immer werden. Viel wichtiger sei es, den Volkstrauertag als Mahnung für den Frieden zu sehen. "Die Menschen sollen sich besinnen, was dem Frieden dient, damit solche Opfer nicht mehr sein müssen." Dennoch betont der Pfarrer - wie auch Kaufmann -, "dass der Krieg uns betrifft". "Viele Politiker merken gar nicht mehr, in welche Richtung es gehen kann, wenn die Gesellschaft gespalten ist", sagt der Seelsorger. "Und wir wissen alle, wohin das einmal geführt hat." Zudem fielen auch heute noch Bundeswehrsoldaten, die in Krisengebieten im Einsatz sind.

Den Volkstrauertag für die Jugend attraktiver zu machen - für Wiendl als auch für Kaufmann eine Mammutaufgabe. "Natürlich gehen wir auf die jungen Leute zu, sprechen sie aktiv an und erklären ihnen, was unsere Aufgabe ist", sagt der 39-Jährige. "In kleineren Gemeinden und Dörfern funktioniert das noch eher, als in den Städten." Das Problem sei, dass die Zeitzeugen immer weniger werden und der Bezug mehr und mehr verschwindet, sagt Wiendl. Natürlich werde das Thema im Geschichtsunterricht behandelt, es verblasst aber schnell wieder. Es sei für die heutige Jugend nicht mehr interessant, weil es zu lange her ist. "Ich glaube auch nicht, dass wir die Zeremonie mit Kranzniederlegung und dem Drumherum für junge Menschen wieder attraktiv machen können", sagt Wiendl. Aber das Gedenken soll dennoch bewahrt und nicht vergessen werden, denn, darin sind sich beide einig: "Der Krieg ist allgegenwärtig."

Katrin Kretzmann