Der kosmische Briefträger

Einfach Kult: Max Goldt bei den Ingolstädter Literaturtagen

22.05.2014 | Stand 02.12.2020, 22:39 Uhr

Wild mäandernde sprachliche Wunderwerke: Max Goldt las im Kleinen Haus des Stadttheaters vor etwa 90 Zuhörern - Foto: Löser

Ingolstadt (DK) Seine Bücher tragen Titel wie „Ungeduscht, geduzt und ausgebuht“, „Ä“, „Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens“ oder „Die Chefin verzichtet“. Seine Themen sind Hotelbewertungen, Radieschen-Diät, „Penisgschichterl aus dem Hotel Mama“, der inflationäre Gebrauch von Modewörtern, eine aktuelle Kleinbürger-Bestandsaufnahme, die „allgegenwärtige Unlesbarkeit“, Warmduscher oder Spekulationen über Leute, die in der ersten Reihe sitzen. Über Letztere hat Max Goldt (55) schon einmal in Ingolstadt sinniert: bei seinem Gastspiel vor fünf Jahren. Am Mittwochabend las er erneut hier, diesmal im Kleinen Haus des Stadttheaters im Rahmen der Literaturtage. Das Haus ist voll, der Glucksquotient hoch.

Denn Max Goldt, Sänger, „Titanic“-Autor, Kleist-Preisträger, Wahlberliner, Kaltduscher, schafft es wie kein Zweiter, Absurditäten des Alltags aufzudecken, Paradoxien zu diagnostizieren, sprachliche Verwahrlosungstendenzen zu monieren – und seine Gedanken dazu in extraordinäre Texte zu fassen. Max Goldt ist ein Wortästhet, ja, ein -akrobat, einer, der sich geschliffener Sprache bedient, hypotaktische Verwicklungen und ornamentale Ekstase nicht scheut und in komplexen Sprachkompositionen so elegant wie kühn wahnwitzige Zusammenhänge herzustellen vermag. Da beginnen Geschichten mit Feuerwerkskrachern in Berlin und enden mit Weltanschauungsfragen in einer Seilbahn in den USA. Da wird die „erstaunliche Renaissance des Kleingedruckten“ beispielhaft an einem Glas Sauerkraut durchexerziert. Da wird der unaufhaltsame Aufstieg des Adjektivs „lecker“ analysiert und über die Beschaffenheit von Zahnpasta philosophiert. Da bricht sich eine brillante Definition des Wortes Inspiration Bahn: „Inspiration hat keinen nennbaren Verursacher, sie ist ein anonymer kosmischer Briefträger, der zu nicht einplanbaren Zeiten klingelt.“ Max Goldt ist nicht nur ein wacher Sprachkritiker, sondern auch ein origineller Sprachkünstler, der die Verdichtung liebt, aber auch das wild Mäandernde, das delikat Hingetupfte wie die Überdosis. Er kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, mischt Gesellschafts- mit Sprachkritik, setzt frappierende Pointen. Und: Er ist ein brillanter Vortragender. Max Goldt liest mit sonorer Stimme, in einem salbadernden Singsang mit stets ironischem Unterton. Seine Hände wägen die Worte ab, begleiten die Sprachmelodie, setzen bisweilen an zu einem kurzen Dirigat. Und wenn er seinen Text über Internetbewertungen von Hotels liest, dann schlüpft er in die Rollen der „Madigmacher“, liest mal griesgrämig, mal nörgelig, tadelnd, schnarrend, kurz angebunden: „Das Personal wirkte ein wenig, als hätte man es von der Straße dorthin gestellt“, „Begrüßung war unangemessen, quick and dirty“, „keine Minibar, trotzdem Gläser“, „Ich kam mir als Gast wie ein zur Unzeit geliefertes Möbelstück vor“.

Nach zweieinviertel Stunden und einer Zugabe ist der Abend vorbei und die Schlange vor dem Signiertisch lang. Max Goldt ist einfach Kult.