Ingolstadt
Der Körper der Farbe

Das Ingolstädter Museum für Konkrete Kunst zeigt Werke von Wolfram Ullrich

21.10.2019 | Stand 02.12.2020, 12:47 Uhr
Arbeitenmit skulpturaler Wirkung: Wolfram Ullrich steht zwischen seinen Werken im Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt. Die Ausstellung wurde am Wochenende eröffnet. −Foto: Nassal

Ingolstadt (DK) Am Anfang - da war Wolfram Ullrich gerade 24 Jahre alt - stand der Schnitt.

Ein gewalttätiger, klaffender, sich um Ecken ziehender Schlitz in einer weiß glänzenden Herdabdeckungsplatte. Mit ihm machte sich Ullrich, damals noch Student an der Stuttgarter Akademie, auf, die Malerei in den Raum zu tragen. Wie weit er dabei gekommen ist, zeigt die eindrucksvolle Ausstellung der Reihe "Kunst und Buch" im Museum für Konkrete Kunst. Vielteilige Wandreliefs, die schattenlos und perspektivisch das Auge täuschen über ihre Dimension, Farbe seriell per se, schwebend und körperhaft - welch ein makellos perfektes Werk! Und welche Freude, im hinteren Bereich des zweiten Stocks dessen Anfänge zu finden: jenes titellose Werk aus emailliertem Stahl, jene rostigen Wandobjekte, jene Zeichnungen aus den 80er- und 90er-Jahren, die rückblickend viel von künstlerischer Konsequenz erzählen.

Ein ganzes Stockwerk also und das untere Foyer dazu hat das MKK der dritten und letzten Folge ihrer "Kunst und Buch"-Reihe gewidmet, wohl auch, weil diesmal das Museum selbst die Publikation des "Buches" übernahm. Kein Werkverzeichnis wie zu den Vorgängern Peter Weber und Günter Fruhtrunk liegt diesmal vor, sondern ein veritables Katalogbuch von 356 Seiten, das Ullrichs Gesamtwerk aus 30 Jahren reflektiert. Schön, dass dessen Zusammenhänge auch in der dann doch vergleichsweise kleinen Schau erkennbar sind.

Aber natürlich ist der Gast vor aller Analyse erst einmal gebannt vom dynamisch-konkreten Trompe-l'?il an den Wänden. Der geometrischen Form hat sich der heute 58-Jährige verschrieben, jedoch ausschließlich der perspektivischen. Statt Quadrate gibt es Rauten und Trapeze, statt Kreise Ellipsen und statt simpler Reihung die ebenfalls perspektivische Fuge zwischen den Teilen des Reliefs. Die sind klar und - schattenlos. Graues Stahlband fasst verschobenen Körper aus monochromer Farbe, fasst letztere, definiert sie zu Wand und Raum. Zartes Fliederblau, triumphierendes Rot, unverschämtes Gelb, mildes Mint: Für Ullrich gibt es kein privates Spektrum, keine Lieblingsfarbe; jede gilt es ihm zu untersuchen in ihrer skulpturalen Wirkung. Und natürlich sind auch die aktuellen, so augenverwirrenden Polyeder Ergebnis künstlerischer Weg-Entscheidungen über die Jahre. Vom Schnitt über die Themen Spalt, Faltung, Teilung, Schatten schritt Ullrich immer mehr ins Dreidimensionale und hin zu den Arbeiten, die nun spielerisch "Fly" oder "Penta" heißen und vollendet scheinen.

Doch es wird weitergehen; noch ist für Ullrich die Frage "Wann ist ein Bild (noch) ein Bild" längst nicht beantwortet. Eine größere Entfernung der Farbe von der Wand, ja, ihren Sprung herunter - das ist wohl der nächste Schritt.
 

DIE QUAL DER WAHL

Orange, Blau,  Weiß oder Rot? Trapez oder Ellipse? Welche Arbeit hätten Sie denn gern? Diese Frage stellt das MKK bis 17. November seinen Besuchern. Denn bis dahin sind im Erdgeschoss vier Arbeiten von Wolfram Ullrich ausgestellt, von denen eine von der Sparkasse Ingolstadt/Eichstätt für das Museum angekauft werden soll. Im demokratischen Prozess geben Museumsdirektorin  Simone Schimpf und ihr Team die Wahl an ihre Gäste weiter: „Unsere Besucher sollen entscheiden, was sie dauerhaft im Museum sehen wollen“, sagt Schimpf. Wahlzettel liegen an der Museumskasse aus. Dort gibt es auch den Katalog zum Vorzugspreis von 38 Euro (regulär 55 Euro).

Bis 19. April 2020; weitere Arbeiten sind in der Galerie Mariette Haas in der Ausstellung "Wolfram Ullrich - Mikael Fagerlund - Diego Sindbert" zu sehen.