Der große Trainer-Bluff

11.07.2014 | Stand 02.12.2020, 22:28 Uhr

Der Star ist die Mannschaft, das war einmal. Heute inszenieren sich Trainer wie Löw und van Gaal als Architekten des Erfolgs. Dabei ist ihr Anteil daran kleiner, als man denkt.

Das Halbfinale zwischen Argentinien und Holland war so miserabel, dass das Zusehen weh tat, ein „Monument der Langeweile“, wie die Zeitung „Volkskrant“ ganz richtig schrieb. Aber zum Glück gab es Mehmet Scholl. Der frühere Nationalspieler sezierte die öde Vorstellung hinterher so klar und präzise, dass sein Auftritt zu einer Sternstunde der an Glanztaten wahrlich nicht reichen WM-Berichterstattung im deutschen Fernsehen geriet.

Scholl gab Louis dem Großen van Gaal die Schuld am Scheitern: „Die Holländer haben ihre Art, Fußball zu spielen, während des Turniers verloren. Sie waren taktisch überladen. Die Spieler hatten pausenlos Angst, den Ball nach vorne zu spielen. Sie haben sich selbst rausgespielt. Van Gaal hatte ein Gebilde gefunden, das funktioniert hat. Er hat es gebrochen, indem er die Taktik hin- und herwechselte, wie es ihm gefiel.“

Die Medien stellten Scholls Analyse als Abrechnung mit van Gaal hin, aber das ist ein Irrtum. Scholl hat jahrelang auf höchstem Niveau gespielt, er versteht etwas von Fußball, und anders als die meisten TV-„Experten“ traut er sich, Klartext zu reden. Scholl hat erkannt, dass van Gaal die WM-Bühne vor allem dazu nutzte, sich selbst zu inszenieren – als Lichtgestalt des Fußballs, für die er sich hält. „Der Fokus lag nicht mehr auf den Spielern“, so Scholl, „der Fokus lag klar auf dem Trainer.“

Dass die Holländer es in das Halbfinale schafften, ist nur dann ein Erfolg, wenn man ihm am Ergebnis misst. Insgesamt zeichneten sich ihre Auftritte durch ein Übermaß an Fouls und anderen Mitteln des Verhinderns aus; und sie waren arm an Inspiration. Das Spektakel, für das Oranje einst stand, ist einem unansehnlichen Kontroll- und Ergebnisfußball gewichen. Dank van Gaal.

Auch das deutsche Publikum arbeitete sich in den vergangenen Wochen an der Rolle des Bundestrainers bei der Fußball-WM ab. Der „Spiegel“ widmete Joachim Löw sogar eine Titelgeschichte. Autor Alexander Osang fragte sich, warum die meisten Deutschen kein Vertrauen in den Bundestrainer haben. Dabei, so Osang, müssten sie ihm doch auf den Knien dafür danken, was er für den deutschen Fußball getan habe.

Osang ist ein brillanter Schreiber, aber das muss nicht bedeuten, dass er sich im Fußball auskennt. Jedenfalls kommt er zu dem Schluss, dass Löw mit seiner Eleganz und seinen intellektuellen Fähigkeiten dem deutschen Durchschnitt entwachsen sei und ihm die breite Masse deshalb Misstrauen entgegenbringe. Naja.

Dabei kann sich Löws Bilanz als Nationalcoach sehen lassen, keine Frage. Er hat bei den letzten drei großen Turnieren mindestens das Halbfinale erreicht. Nun greift er nach dem WM-Titel. Die Frage ist, welchen Anteil Löw daran hat – und welchen Anteil generell Trainer an Erfolgen eines Nationalteams haben.

Löw ist ohne Zweifel davon überzeugt, dass dieser Anteil groß ist. So verhält er sich auch. Er macht viel Wind um sich und Taktik. Dabei trifft er immer wieder Entscheidungen, die an seinen Fähigkeiten zweifeln lassen. Bei der WM beorderte er die Durchschnittskicker Höwedes und Mustafi auf die Außenpositionen der Abwehr, während sich Lahm, der beste Außenverteidiger der Welt, im Mittelfeld abmühte. Erst im Viertelfinale entschloss sich Löw zur überfälligen Umstellung.

Unvergessen ist auch das Halbfinalspiel der EM 2012 gegen mittelmäßige Italiener, das Löw mit seiner kruden Taktik vergeigte. Bis heute fällt es ihm schwer, das zuzugeben. Das sind die Gründe, warum Löw vielen suspekt ist. Der Schriftsteller Eckhard Henscheid („Die Vollidioten“) nannte Löw kürzlich „einen besonders inferioren Kopf“, der einen Sprachschatz wie „ein zurückgebliebenes zehnjähriges Kind“ habe.

Aber der Star ist der Trainer, so sind die Zeiten. Und die Gehälter. Löw verdient jährlich drei Millionen Euro. Da gehört das Klappern zum Geschäft. Der italienische Altmeister Fabio Capello, auch er eine wandelnde Ich-AG, soll bei den Russen 7,5 Millionen Euro einstreichen. Das hinderte Russland freilich nicht daran, bei der WM in Brasilien schon in der Vorrunde auszuscheiden.

In Wirklichkeit ist der Einfluss der Nationaltrainer auf ihre Teams begrenzt. Anders als Vereinstrainer können sie keine Mannschaft aufbauen. Das technische, taktische und spielerische Niveau wird in den Klubs ausgebildet, nicht in den sporadischen Lehrgängen des Nationalteams. Insofern lässt sich der Finaleinzug der Deutschen vor allem damit begründen, dass in ihren Reihen viele erfahrene Weltklasse-Akteure stehen, die in großen Vereinen spielen und dort von den besten Trainern geformt werden. Das ist das ganze Geheimnis. „Geht’s raus und spielt’s Fußball“: Mit dieser „Taktik“ gewann Franz Beckenbauer 1990 den WM-Titel.

Heute wird viel schneller gespielt, die Räume sind eng; aber es geht immer noch um Fußball. Das heißt: Glück und Zufall spielen bei einem Turnier nach wie vor eine große Rolle. Vincente del Bosque, einer der ganz Großen seiner Zunft, der mit Spanien sechs Jahre lang den Weltfußball dominierte, machte nie einen Hehl aus seinem bescheidenen Anteil an den Erfolgen. Seinen Spielern könne er nichts mehr beibringen, sagt er. Er sieht sich eher in der Rolle des Moderators. Andere wie US-Coach Jürgen Klinsmann oder sein belgischer Kollege Marc Wilmots gelten dagegen eher als pragmatisch orientierte Motivationskünstler. Auch sie machen kein großes Gewese um taktische Feinheiten.

Als die Spanier 2010 die WM gewannen, wurde del Bosque von den Journalisten nach seinen Gefühlen gefragt. Er sagte: „Redet lieber mit den Spielern. Ich bin nur der Trainer.“