Ingolstadt
"Der größte Stress ist der Freizeitstress"

31.03.2011 | Stand 03.12.2020, 2:59 Uhr

Ingolstadt (sic) Sie unterrichtet nicht nur Biologie und Chemie am Braunschweiger Ricarda-Huch-Gymnasium, sondern arbeitet auch als Yogalehrerin. Das erklärt, warum Waltraud Führes in ihren Ratschlägen für Kinder Erkenntnisse der Hirnforschung gern mit praktischen Entspannungstechniken kombiniert. Ihre oberste Lehre lautet: "Kein Stress!" Im Gespräch mit Christian Silvester erklärt Führes, was die Eltern überlasteter Schüler beachten sollten – und welche Konsequenzen das für die Freizeitgestaltung bedeutet.

Wieso vereint so viele Menschen die Überzeugung, dass ihr Gehirn einfach nicht für Mathematik geschaffen ist?

Waltraud Führes: Das kann mit den ersten Erfahrungen zusammenhängen. Wenn im Gehirn kein Fundament dafür gelegt wird, dann kommt es da auch zu keinen Anknüpfungen. Und wenn ich einmal eine Blockade aufgebaut habe, ist es ganz, ganz schwer, da durchzukommen, weil ich einfach davon überzeugt bin: ,Ich kann das nicht lernen!’ Es kommen natürlich oft auch noch genetische Gegebenheiten dazu.

Wie stark ist heute der Lernstress im Vergleich zu früher?

Führes: Der Stress ist groß. Es ist aber nicht nur Lernstress, es ist der Stress, der in unserer ganzen Gesellschaft herrscht. Wir haben so viele Möglichkeiten, uns zu bilden, uns zu unterhalten, unsere Freizeit zu gestalten, Daher ist meine Behauptung: Der größte Stress ist der Freizeitstress. Denn oft heißt es: Ich möchte noch Klavierspielen lernen, ich möchte noch reiten, ich möchte noch zum Ballett oder noch zur Gymnastik – das alles erzeugt enormen Stress. Wenn man sich aber in Ruhe auf eine Sache beschränkt, ist das kein Stress, auch wenn die Sache anstrengend ist. So genanntes Multitasking, also das Verrichten mehrerer Tätigkeiten innerhalb kurzer Zeit, ist out, denn es hat zu vielen Fehlern in der Gesellschaft geführt. Aber wenn Sie weniger Stress haben, machen Sie auch weniger Fehler – und Sie sind früher fertig.

Was raten Sie Kindern und Jugendlichen, die vor einem bestimmten Fach einen Angstkomplex entwickelt haben?

Führes: Angst sitzt sehr tief in alten Gehirnregionen. Das ist sehr schwierig. Wenn ich so ein Kind hätte, würde ich ihm eine psychologische Beratung empfehlen, so dass die Angst dann mit professioneller Hilfe peu à peu zurückgefahren werden kann.

Was raten Sie den Eltern der betroffenen Kinder noch?

Führes: Keinen Stress daraus zu machen, denn wenn etwas stressbesetzt ist, wird das Angstpotenzial größer. Ich würde mir das mit dem Kind ansehen und sagen: Da ist dein Problem, und nun holen wir uns Hilfe, um es gemeinsam zu lösen.

Was ist der größte Fehler bei der Stressbewältigung?

Führes: Mangelnde Selbstbeobachtung. Ich muss beobachten: Was macht mir Stress? Ich muss bei mir mit der Problemlösung anfangen und nicht bei der Umwelt. Ich muss mich also fragen: Was kann ich ändern? Etwa indem ich Freizeitaktivitäten reduziere. Nochmal: Ich sollte nur solche Aktivitäten wählen, die mir wirklich Entlastung bringen, die mich nicht stressen, wo ich nicht denken muss: Dahin, dahin und dahin!