Ingolstadt
"Der größte Manipulator ist die Freundlichkeit"

Thorsten Havener ist Deutschlands bekanntester "Gedankenleser" – Am 10. Februar kommt er nach Ingolstadt

18.01.2013 | Stand 03.12.2020, 0:36 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Jetzt bloß nichts Falsches denken. Denn der Gesprächspartner ist Thorsten Havener (40), Deutschlands bekanntester Gedankenleser. Der, der unsere Geheimnisse aufspüren kann, die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen findet – oder wo auch immer sie sonst versteckt ist – und sogar Stefan Raab verblüfft. Thorsten Havener kommt am Sonntag, 10. Februar, nach Ingolstadt – zur Vorpremiere seines neuen Programms. Wie immer geht es darin um unsere Gedanken „und darum, wie man in das Innerste des Gegenübers vordringen kann“, erklärt er. Diesmal allerdings will Thorsten Havener aber nicht nur über bewährte Wissenschaften sprechen, diesmal entführt er auch in Grenzbereiche. Etwa: Was ist dran am Handlesen – ist es Kunst oder Humbug? „Ich werde auch ein paar Tricks verraten“, verspricht er im Telefoninterview mit unserer Redakteurin Anja Witzke.

Ich hätte mich gern mit Ihnen getroffen. Können Sie denn auch durchs Telefon Gedanken lesen?

Thorsten Havener: Das ist sehr schwierig. Man kann natürlich an Wortwahl und Betonung des Sprechers einiges erkennen, aber wenn man denjenigen sieht, ist das natürlich etwas ganz anderes.

Sie wüssten also nicht, wie meine nächste Frage lautet?

Havener: Es ist leichter, wenn Sie’s mir sagen. (Er lacht.)

Ist es nicht ermüdend für Sie, immer die gleiche Frage gestellt zu bekommen: Was denke ich gerade? Müssen Sie sich nicht mal erholen von den Gedanken der anderen?

Havener: Das habe ich mir ja ausgesucht. Mir macht es unglaublich Spaß, mit anderen Menschen über diese Themen zu reden und sie entsprechend zu demonstrieren. Wenn ich es ermüdend fände, hätte ich den falschen Beruf gewählt.

Sprechen Menschen eigentlich gern mit Ihnen – oder haben sie Angst, von Ihnen durchschaut zu werden?

Havener: Wenn die Leute mich nicht kennen, sind sie ganz offen. Wenn sie herausfinden, wer ich bin und was ich mache, dann ändert sich ihr Verhalten. Was witzig ist. Denn in dem Moment, in dem man unter Druck steht und Angst hat, der andere könnte etwas entdecken, werden die Signale tatsächlich deutlicher. Es wäre also schlauer, cool zu bleiben.

Sie beschreiben in Ihren Büchern, dass Sie weniger hellseherische Kräfte haben, sondern vielmehr Körpersprache, Mimik, Gestik, Zwischentöne zu deuten verstehen. Wohin sehen Sie als erstes, wenn Sie jemanden kennenlernen? Was verrät am meisten über uns – ohne dass es uns bewusst ist?

Havener: Ich schaue generell den Menschen ins Gesicht. Das Gesicht verrät unsere Grundemotionen. Es gibt aufschlussreiche wissenschaftliche Arbeiten von Paul Ekman, der das Gesicht erforscht hat wie kein anderer. Er weist nach, dass es uns unmöglich ist, unsere Emotionen langfristig zurückzuhalten. Das Gesicht lässt erkennen: Freut sich jemand wirklich, wenn er mich sieht, ist er gleich gehässig, wenn er etwas sagt, ist er traurig, wird er gleich zornig? Das Tolle am Gesicht ist, dass Signale wie Zorn oder Trauer teilweise sichtbar werden, wenn man weiß, worauf man achten muss – und zwar bevor die Emotion überhaupt da ist.

Wer ist leichter zu durchschauen – Männer oder Frauen?

Havener: Da gibt es ausnahmsweise zwischen den Geschlechtern mal keine Unterschiede.

Ständig sind wir Manipulationsversuchen ausgesetzt – schon beim Einkaufen im Supermarkt will man uns mittels Gerüchen, Musik und der Anordnung der Ware beeinflussen. Wie kann man sich dagegen wappnen?

Havener: In dem Fall ist tatsächlich Wissen Macht. Wer sich bewusst ist, wie solche Manipulationsversuche wirken, kann entsprechend reagieren. Aber selbst ich ergebe mich manchmal gerne. Kürzlich hatte ich eine sehr lange Autofahrt hinter mich gebracht und noch einige Stunden vor mir. Ich musste tanken, und dort roch es herrlich nach Kaffee und frisch gebackenen Semmeln. Obwohl ich gar keinen Kaffee trinken wollte, bestellte ich eine Tasse. Nur wegen dieses verlockenden Geruchs. Ich wusste, dass ich den Kaffee nicht 100-prozentig freiwillig trinke, tat es aber trotzdem. So geht es uns doch oft mit schönen Dingen. Wir sollten nur wissen, dass wir diese Entscheidungen nicht unbedingt immer frei treffen. Aber daran ist doch nichts Schlimmes.

Kommt darauf an, ob mein Dispo schon ausgeschöpft ist für diesen Monat ...

Havener: Aber wer den Mechanismus kennt, kann ihn auch ausschalten. Wir können entscheiden, ob wir der Versuchung erliegen oder nicht. Das ist eine große Freiheit. Deshalb sollten wir wissen, wie Manipulation und Suggestion funktionieren.

Und wenn man selbst andere manipulieren will? Gibt es da so etwas wie die goldene Regel des erfolgreichen Manipulierens im Alltag? Wie könnte ich z. B. meine Kollegen gewogen stimmen?

Havener: Der größte Manipulator ist die Freundlichkeit. Freundlichkeit bringt einen sehr weit. Es ist erwiesen, dass, wenn Sie jemandem einen kleinen Gefallen tun, Sie wenig später einen ungleich größeren Gefallen einfordern könnten. Der andere wird sich irgendwie in der Schuld fühlen. Vielleicht versuchen Sie es auch mit einem kleinen Kompliment. Aber Vorsicht: Es sollte schon echt rüberkommen.

Also bringe ich am Montag einen selbst gebackenen Kuchen mit und kann dann davon ausgehen, dass meine Urlaubsplanung genehmigt wird?

Havener: Das wäre zu kurzfristig gedacht, ich würde noch ein paar Fährten mehr auslegen. Aber der Kuchen ist schon mal ein sehr guter Köder. Aber präsentieren Sie den Kuchen nicht mit den Worten: „Ich habe extra einen Kuchen für euch gebacken“, sondern sagen Sie eher: „Wir haben gestern gebacken, es ist ein bisschen was übriggeblieben, das habe ich mitgebracht.“ Das wirkt subtiler. Das zweite ist: Selbstvertrauen. Wenn Sie Ihre Bitte aussprechen, dann darf da nicht der Hauch eines Zweifels sein, dass das vielleicht nicht klappen könnte. Eine kleine Übung für zu Hause: Wenn Sie das nächste Mal Gäste zum Kaffee haben, stellen Sie doch die Milch als letztes auf den Tisch und riechen Sie daran. Dann sagen Sie voller Selbstvertrauen mit gerümpfter Nase und einem leichten Ekelausdruck: Oh, die riecht aber nicht mehr so gut. Sie werden sehen: Keiner wird sich Milch eingießen. Sie können die Leute sogar dran riechen lassen, aber sie werden sagen: Die riecht tatsächlich irgendwie komisch.

Wenn ich mit meinem Chef über eine Gehaltserhöhung verhandeln möchte: Wie bringe ich mich – abgesehen jetzt mal von meiner Leistung – in eine gute Ausgangsposition? Wähle ich eine bestimmte Kleidung? Gibt es so etwas wie einen einleitenden Zaubersatz?

Havener: Es kommt immer auf den Beruf an. Sie sind als Journalistin in einem kreativen Umfeld tätig. Sie könnten sich in puncto Kleidung farblich absetzen – aber nicht zu stark. In einem knallroten Kostüm aufzukreuzen, wenn alle anderen in Jeans rumlaufen, wäre übertrieben. Gut angezogen sein ist sehr wichtig. Kleider machen immer noch Leute. Sie sollten aber aufpassen, dass Sie nicht besser angezogen sind als der Chef, das könnte als Arroganz oder Konkurrenzdenken gewertet werden. Sie könnten sich aber am Chef orientieren. Wenn er immer Maßanzug und Krawatte trägt und Sie normalerweise legere Freizeitkleidung bevorzugen, dann sollten Sie an dem Tag nicht unbedingt Ihr bestes Businesskostüm rauskramen. Sie sollten aber darauf achten, dass Sie eine neue Jeans oder besonders gute Freizeitkleidung tragen. Das wiederum funktioniert. Einen „Zaubersatz“ gibt es nicht. Aber man sollte auf keinen Fall mit der Tür ins Haus fallen. Vielleicht starten Sie auch hier mit einem kleinen Kompliment oder ein paar persönlichen Worten.

Ihre Bücher sind u. a. ins Japanische, Chinesische, Bulgarische, Holländische, Italienische übersetzt – ticken die Menschen überall gleich?

Havener: Ja. Das kann ich jetzt mit vollem Selbstbewusstsein sagen, obwohl mir das bis vor Kurzem auch nicht so klar war. Aber ich war vergangenes Jahr ein paar Wochen in Japan auf Lesereise. Und ich habe in Japan noch mehr Bücher verkauft als in Deutschland. In Japan hatte ich eine ganz tolle Dolmetscherin, und die Reaktionen bei den Auftritten waren dort genau dieselben wie in Deutschland. Selbst die Suggestionsexperimente haben funktioniert.

In Ihrem Buch „Denk doch, was Du willst“ beschreiben Sie, dass es einfacher ist, einen Lügner zu entlarven, je länger man ihn beobachten kann. Wenn ich nicht so viel Zeit habe: Gibt es ein paar Anzeichen, die mir sofort sagen, dass mir gerade eine Lüge aufgetischt wird?

Havener: Das wäre schön, aber die gibt es leider nicht.

Wenn Sie ein „echter“ Gedankenleser wären, mit wem würden Sie sich dann gern mal zum Kaffeetrinken treffen?

Havener: Gute Frage. Ich denke, Angela Merkel wäre da eine Kandidatin. Ich würde gerne wissen wollen, was in der Welt wirklich vor sich geht – und was sie uns Wählern nicht erzählt.