"Der Geschichte ein Gesicht geben"

05.02.2009 | Stand 03.12.2020, 5:13 Uhr

Spannende Diskussion: Deborah Hartman (stehend), Mitarbeiterin der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem, diskutiert mit Schülern des Geschichts- und Sozialkunde-Leistungskurses am Katharinen-Gymnasium über den Umgang mit der deutschen Geschichte. - Foto: Schober

Ingolstadt (DK) Schüler des 12. und 13. Jahrgangs des Katharinen-Gymnasiums haben mit Deborah Hartman, einer jungen Mitarbeiterin der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, über den Umgang mit der Vergangenheit des Nationalsozialismus diskutiert.

"Schuld ist nicht vererbbar, aber es ist nach wie vor wichtig, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen", sagt Deborah Hartman und schaut in die Runde. Es klingt nicht lehrerhaft, sondern ehrlich. Viele Schüler nicken, einige heben fragend den Arm.

Die 24-jährige Jüdin Hartman arbeitet für Yad Vashem in Jerusalem, die bedeutendste Gedenkstätte an die nationalsozialistische Judenvernichtung. Auf Einladung des Geschichtslehrers Matthias Schickel ist sie gestern an das Ingolstädter Katharinen-Gymnasium gekommen, um mit rund 60 Schülern über Schuld, Verantwortung und Erinnerung zu diskutieren.

"Wir haben das Thema Nationalsozialismus zwar schon öfter im Unterricht behandelt, aber hier konnten wir das Ganze mal von einer etwas anderen Perspektive betrachten", erzählt die 19-jährige Schülerin Katja Birner. Zur Vorbereitung hatten einige Schüler bereits den deutschen Dokumentarfilm "Was bleibt" angeschaut, aus dem Hartmann ebenfalls einige Sequenzen vorspielte. Im Film werden Frauen befragt, die aus verschiedenen Generationen einer Opfer- und einer Täterfamilie kommen.

"Wenn man selber ohne Angst groß geworden ist, fällt es einem schwer, sich diese Zeit vorzustellen", erzählt eine junge Protagonistin im Film, deren Großmutter die Deportierung nach Auschwitz überlebt hat. Ähnlich geht es auch den Schülern in der anschließenden Diskussion: "Ich glaube nicht, dass die jungen Leute heute die Vergangenheit verdrängen wollen, sondern dass viele einfach gar keinen richtigen Bezug mehr dazu haben", meint ein Schüler.

Deswegen möchte das Katharinen-Gymnasium seinen Schülern mehr Möglichkeiten bieten, sich zu informieren. "In den Geschichtsbüchern kann man die nüchternen Fakten nachlesen, aber durch solche persönlichen Gespräche kann man der Geschichte ein Gesicht geben", sagt der Schuldirektor Reinhard Kammermayer.

Die Wiener Politikstudentin Hartman, die seit zwei Jahren in Tel Aviv lebt, ging dabei offen auf die Schüler zu: "Oft hört man ja als Schüler nur das Wort Holocaust und denkt sofort ,schon wieder‘, aber je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt, desto mehr merkt man doch, wie relevant es auch heute noch ist".

Für Geschichtslehrer Matthias Schickel ist interessant, wie die "dritte Generation" mit der deutschen Geschichte umgeht. Er meint, dass die Schüler heute einerseits kritischer, aber auch unbefangener mit dem Thema Nationalsozialismus umgehen. "Vor drei Jahren war ich mit einer Schülergruppe im Konzentrationslager in Auschwitz, und einer der Schüler trug absichtlich ein Deutschlandtrikot. Er wollte damit aber zeigen, dass für ihn der Nationalsozialismus nicht nur ein deutsches Problem ist, sondern ein Menschheitsverbrechen", erzählt der 39-jährige Gymnasiallehrer.

"Es geht doch gar nicht mehr um Schuldzuweisungen, sondern darum, dass jeder sich selber damit auseinandersetzen muss, was unsere Vorfahren in diesem Land getan haben", sagte ein junger Schüler. Aus aktuellem Anlass tauchte zum Schluss der Debatte von Schülerseite die Frage auf, wie man Holocaust-Leugnern angemessen begegnen könne. Darauf konnte Deborah Hartman jedoch nur antworten, dass dies natürlich zu verurteilen sei.