Kösching
Der Fotzenpeter hat kein Haus mehr

Historisches Gebäude, in dem einst ein bekannter Köschinger Pfannenflicker lebte, wurde abgerissen

31.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:01 Uhr

Foto: DK

Kösching (DK)

Kösching (DK) Als sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts zeigte, dass die alte Ortsumwallung Köschings der modernen Kriegstechnik nicht mehr gewachsen war, gab die Gemeinde erste Parzellen an der inneren Grabengasse zur Bebauung frei. Teile des Walls wurden für Baugrund planiert, der Graben blieb aber einstweilen noch erhalten. Darunter war auch ein Abschnitt im Westen, wo 1725 "vier neüe heüsser bey dem graben" an die Innenseite des Walles gebaut werden durften. Die Besitzer hatten für die Überlassung des Gemeindegrunds eine Grundpacht von 30 Kreuzern zu zahlen.

Auf oberbehördlichen Auftrag hin hatte der Markt 1811 seine ungenützten Grundstücke zu veräußern. Darunter fiel auch die gesamte Ortsbefestigung. Sie wurde parzelliert und ging in Privathand über. Der Graben wurde - bis auf die nassen Abschnitte an der Hofwiese - mit dem Material des alten Walles zugeschüttet. Am äußeren Grabenweg, der damals auch als "westlicher Marktumgang" bezeichnet wurde, entstanden zu den Häusern am "Geißengaßl", wie die Grabengasse geheißen wurde, neue, zum Teil sehr eng geschnittene Grundstücke.

Von unten herauf im dritten Haus - es war das älteste und wurde deshalb als das erste neue Haus bezeichnet - lebte zuerst der "Operarius", der Tagwerker, Sebastian Märckl. Seine Witwe konnte es noch kurze Zeit bewohnen, dann übergab sie 1742 das kleine Anwesen an den Glaser Georg Kornbeck, der in die völlig heruntergekommene Köschinger Glaserwerkstatt eingeheiratet hatte. Um diese Zeit, also in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, nannte man es danach hier "Beim Glaser". Dessen Geschäfte liefen besser, und so zog der Glaser wieder in den Markt ein. Als Bewohner gab es jetzt um 1800 beim Graben den Maurer Xaver Hermann, nach ihm einen Zimmermann namens Sebastian Auer. Und so hieß man es damals eben "Beim Hermann".

1856 nun tauschte Sebastian Auer mit dem Pfannenflicker Peter Stangl, der mit seiner Frau Barbara im Haus Nr. 72 in der Kugelstraße neben dem "Leichtlschmied" gewohnt hatte. Und dieser Peter Stangl war eine der Köschinger Persönlichkeiten, die der Chronist Ferdinand Ott in seinem Kapitel "Heiteres" anführen zu müssen glaubte. Er folgte damit einem Gebrauch der Zeit, Lokalgeschichte mit Anekdotischem anzureichern. So wurde aus der sozialen Randfigur eines Pfannenflickers ein "Köschinger Original", der es bis zur Ansichtspostkartenehre brachte. Der historische Mensch Peter Stangl geriet zur Witzfigur. Das mehrte seine Bekanntheit, und noch vor wenigen Jahren erzählte ein alter Lehrer in Ingolstadt, dass seine Eltern, wollten sie nicht sagen, woher eine Information stammte, behaupteten, das habe der "Fotzenpeter von Kösching" gesagt, was den Betroffenen jedes Mal fürchterlich ärgerte.

Sein wirkliches Leben war das eines einfachen Mannes von geringer Bildung und ohne hinreichende Ausbildung. Er war 1801 weitab in Maierhofen bei Painten geboren worden. Die Baukonjunktur der Festung Ingolstadt zog ihn an, und er ließ sich 1829 in Großmehring nieder. Hier war er über zehn Jahre lang als Schmiedgehilfe mit dem Schärfen der Werkzeuge für die Steinbrecher im Demlinger Holz beschäftigt. Gegen 1840 kam der Festungsbau ins Stocken, und Stangl musste sich nach einem neuen Broterwerb umsehen.

Er zog nach Kösching. Seine Heirat mit Barbara Geyer aus Breitenbrunn wurde ihm magistratischerseits gestattet, und auch seine Aufnahme als Bürger von Kösching am 13. Oktober 1842 genehmigt. Die Ausübung des Schmiedgewerbes wurde ihm allerdings verwehrt. So brachte er seine Familie mit der Pfannenflickerei durchs Leben.

Sein schweres Leben versuchte er offensichtlich in Grobheiten zu kompensieren. Das brachte ihn in entsprechende Polizeiakten, wo er wiederholt als ein "roher, dem Trunke ergebener Mensch" auffällig wurde. Als solcher erging er sich in öffentlicher Beschimpfung der Klosterfrauen der Armen Schulschwestern, was mit 24-stündigem Arrest bestraft wurde. Eine Geldstrafe wurde wegen Mittellosigkeit Peter Stangls nicht ausgesprochen. Persönliche Not spricht wohl auch aus einer Anzeige wegen Flurfrevels und "Umwühlen eines Ackers".

Trotz allem gelang es ihm mit Hilfe eines Kredits der Köschinger Stephani-Wendelini-Stiftung, eigenen Hausbesitz am Graben zu erwerben. Es wurde das Heiratsgut der Tochter, und Stangl blieb, wegen völliger Mittellosigkeit von der Armenpflege unterstützt, bis zu seinem Tod im November 1878 bei ihr im Austrag wohnen. Die Pfannenflickerswitwe Barbara Stangl starb 1887.

Jahre darauf stilisierte Ferdinand Ott diese soziale Randgestalt zum Original und Sonderling: "Ein anderes Original, mit dessen Namen die Köschinger oft geneckt wurden, war Peter Stangl, genannt der Fotzenpeter, seines Zeichens ein ehrsamer Pfannenflicker und Hafenbinder. Er lebte noch in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Derselbe war wortkarg und mürrisch, von großem Wuchse. Aus dem hageren, bartlosen Gesichte ragte eine große, lange, rötlich angehauchte Nase hervor, ebenso seine enorme Unterlippe, welche stark gegen die Nase hervortrat und ihm den obengenannten Kosenamen im Volksmunde eintrug. Er zog in der ganzen Gegend umher, und auch in Ingolstadt übte er auf offener Straße seine Künste aus, gewöhnlich vor dem Fellermeierhaus neben Hotel Adler."

Therese, die Tochter und einziges Kind des Fotzenpeter, hatte 1861 den Kohlenbrenner aus Steinsdorf und späteren Waldaufseher Michael Bader geheiratet. Er trat zunächst beruflich in die Fußstapfen des Schwiegervaters und wurde als "Hafenbinder" versteuert. Sie bewohnten weiterhin das Haus an der Grabengasse, das inzwischen die Hausnummer 18 bekommen hatte.

Therese starb 1886, der hinterlassene Witwer heiratete ein zweites Mal. Aus der ersten Ehe stammte die Tochter Theresia Bader, die den Köschinger Dienstknecht Jakob Gloßner zum Mann und ins Haus Nr. 18 nahm. Wie die Ingolstädter Zeitung "Der Donaubote" zu berichten wusste, konnten die "Invalidenrentners-Eheleute" im Jahr 1939 in voller Rüstigkeit ihre goldene Hochzeit feiern. "Aus dieser Ehe sind nicht weniger als 22 Kinder hervorgegangen", schloss die Zeitungsnotiz ihren kurzen Bericht.

Seit damals war das "Neue Haus am Graben" von 1725 als das "Gloßnerhaus" bekannt. Mit der Umbenennung der Straßennamen 1955 lag es jetzt im Heinrichsgraben und trug die Nummer 27. Seit Ende März 2017 ist dieses Haus nicht mehr. Damit ist ein historisches Denkmal gestorben. Es hatte bewiesen, dass auch kleine Häuser eine große Geschichte haben können. Aber wer wollte heute noch wie der Fotzenpeter leben