Der Fall Kalinka ab 20. Oktober im Kino: Steht die Sühne eines Todes über dem Recht?

19.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:17 Uhr
"Im Namen meiner Tochter - Der Fall Kalinka" beruht auf einer wahren Geschichte. Am 10. Juli 1982 starb Kalinka Bamberski unter mysteriösen Umständen. Vater André macht es sich zur Lebensaufgabe, ihren Tod aufzuklären. −Foto: Koch Films

Ingolstadt (DK) Dieser Fall hat die deutsche und französische Justiz fast 30 Jahre beschäftigt: 1982 starb die Französin Kalinka Bamberski unter mysteriösen Umständen. Ihr Vater André machte es sich zur Lebensaufgabe, den Tod des 14-jährigen Mädchens aufzuklären. Regisseur Vincent Garenq hat diesen dramatischen Stoff nun in „Im Namen meiner Tochter - Der Fall Kalinka“ in einen Film umgesetzt. Kinostart ist am 20. Oktober.

Wie weit darf und sollte ein Vater gehen, um den Tod seiner Tochter zu sühnen? Dieser schwer zu beantwortenden moralischen Frage geht Regisseur Vincent Garenq in „Im Namen meiner Tochter - Der Fall Kalinka“ nach. Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit. Er wühlt auf – und versetzt den Zuschauer in eine Zwickmühle: Steht die Liebe eines Vaters manchmal über dem Recht? 

Regisseur Garenq hat sich an einen schwierigen Stoff herangewagt: Am Morgen des 10. Juli 1982 wurde die 14-jährige Kalinka Bamberski tot im Hause ihres Stiefvaters und Arztes Dieter Krombach aufgefunden. Seit der Trennung von Kalinkas Mutter und André lebte sie mit Krombach zusammen in Lindau, wo das Mädchen mit ihrem Bruder in jenem Sommer die Ferien verbrachte. 

Nach Kalinkas Tod bekommt Vater André den Autopsiebericht seiner Tochter von den deutschen Behörden in die Finger. Zusammen mit einem Übersetzer und befreundeten Arzt stellt er Unregelmäßigkeiten darin fest. An Kalinkas Arm sind Einstiche von Nadeln zu finden. Krombach behauptet, dass er noch versuchte, Kalinka an jenem Morgen wiederzubeleben. Die genaue Todesursache bleibt aber auch nach der Autopsie unklar. Bamberski ist davon überzeugt, dass Kalinka sexuell missbraucht und dann getötet wurde, um die Tat zu vertuschen. Sein Verdacht richtet sich gegen den Stiefvater Krombach. 

Trotzdem schließt die Staatsanwaltschaft München ein Jahr später die Akten des Falls, denn die Beweislage für eine Mordanklage sei zu dünn.


André Bamberski ist verzweifelt. Von da an widmet er sein ganzes Leben der Aufarbeitung von Kalinkas Tod. Regisseur Garenq hat die Figur André grandios mit Schauspieler Daniel Auteuil besetzt. Zu Beginn ist André ein leiser Mann, der sich mit Hingabe um seine Kinder kümmert. Nach Kalinkas Tod wird er zu einem einsamen Kämpfer. Viele Weggefährten sind genervt von seiner Besessenheit und wenden sich von ihm ab. Eines ist klar: Wer knapp 30 Jahre für Gerechtigkeit kämpft, steht irgendwann völlig alleine da. War es das wert, soweit zu gehen? Der Zuschauer fiebert und fühlt mit Andrés Schicksal mit, der niemals resigniert und aufgibt.

André trotzt politischen Widerständen und erreicht, dass Kalinka drei Jahre nach ihrem Tod exhumiert wird. Bei der erneuten Untersuchung stellt sich heraus, dass ihr die inneren und äußeren Genitalien entfernt wurden. Ein weiterer Beweis für Krombachs Schuld, der bei der ersten Autopsie des Mädchens zugegen war?
 

Ein diplomatischer Zwischenfall droht

 

Es folgt ein Katz-und-Maus-Spiel. Der Fall wird bis in die höchsten Ebenen der Politik gespült – und droht zu einem diplomatischen Zwischenfall beider Länder zu werden. Bamberski gibt trotzdem nicht auf. Nach 13 Jahren unermüdlicher Arbeit wird Krombach von einem französischen Gericht zu 15 Jahre Haft wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Doch der Arzt sitzt nicht im Gefängnis ein, weil Deutschland ihn nicht ausliefert.

Unwillkürlich stellt sich der Zuschauer die Frage nach Bamberskis Ex-Frau: Was weiß sie über jenen Tag im Juli 1982? Scheinbar interessiert sie sich weder für den genauen Wortlaut des ersten Autopsieberichts, noch unterstützt sie Bamberski bei der Suche nach der Todesursache. Warum möchte Kalinkas Mutter nicht genauer wissen, wie ihre Tochter zu Tode gekommen ist?

Schauspieler Sebastian Koch verkörpert Krombach als einen charismatischen Arzt mit einer enormen Wirkung auf Frauen. Seine Figur ist vielschichtig angelegt: Einerseits hat er etwas Dunkles und Geheimnisvolles an sich, andererseits ist er weltgewandt und kultiviert. Dass Frauen ihm scharenweise erliegen, kann man sich gut vorstellen – wie es wohl auch Bamberskis Ex-Frau passiert sein könnte.
 

Bamberski heftet sich an Krombachs Spuren

 

Zwischenzeitlich steht Krombach aber auch in Deutschland vor Gericht, denn eine junge Frau beschuldigt ihn der Vergewaltigung. Er soll sie zuvor narkotisiert haben. Seine zweijährige Haftstrafe wird aber auf Bewährung ausgesetzt, weil Krombach auf seine Approbation verzichtet. 

Obwohl der Arzt, der per internationalen Haftbefehl gesucht wird, 1998 an der österreichischen Grenze festgenommen wird, kommt er trotzdem nicht in Haft in Frankreich. Er wird wieder freigelassen. Krombach sitzt erst 2008 in Haft, weil er trotz des Verlusts der Approbation weiter praktiziert. Nach der Haftentlassung 2009 verfolgt Bamberski Krombach. Der verzweifelte Vater schreckt auch nicht zurück, selbst eine Straftat zu begehen, um Krombach endlich auf französischen Boden zu bekommen...

Fazit: Der Film ist spannend - nicht zuletzt wegen der feinfühligen schauspielerischen Leistung Auteuils. Allerdings ist der Stoff auch keine leichte Kost für einen gemütlichen Samstagnachmittag im Kino.