München
Der ewige Revoluzzer

Konstantin Wecker stellt in München sein neues Buch vor - Es geht um Poesie und Widerstand

18.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:07 Uhr
Patrik Stäbler

München (DK) Draußen am Zaun hängt ein Banner mit der Aufschrift "Heimathafen statt Ankerzentren", drinnen am Eingang weist eine Tafel auf die heutige Infoveranstaltung für Flüchtlings-Sprachpartner im Erdgeschoss hin - und beides dürfte der prominente Gast dieses Abends sicher gutheißen. Denn er, dessen Lesung ebenfalls auf der Tafel angekündigt wird - Hinterhaus, 1. Stock - ist bekannt dafür, seine eigentlich des Gesangs wegen gerühmte Stimme auch in politischen Fragen zu erheben. Für die Schwachen, für die Armen, für die Umwelt - erst tags zuvor hat er auf seinem rege befüllten Internet blog gegen das "Kapitalverbrechen" im Hambacher Forst gewettert.

Die Rede ist von Konstantin Wecker. Dem Liedermacher, Komponisten, Musiker und Autor. Dem Pazifisten, Nazi-Bekämpfer, Antikapitalisten und ewigen Revoluzzer. "A Revoluzzer müaßt ma sei/dann war des Leidn schnei vorbei", hat er 1983 in dem gleichnamigen Lied gesungen. "Aba wer macht si scho die Plog/und macht sei Mei auf, wenn a mog?"

Eine Antwort auf diese letzte Frage ist natürlich Konstantin Wecker selbst. Denn auch im Alter von 71 Jahren mag der münchnerischste aller Musiker sein Maul aufmachen, um zu revoluzzen - so auch am Montagabend bei der Präsentation seines neuen Gedicht- und Gedankenbüchleins "Auf der Suche nach dem Wunderbaren - Poesie ist Widerstand". Allein dass Wecker sein Werk am Erscheinungstag hier im "Bellevue di Monaco" bei einer Benefizlesung vorstellt, spricht ja schon Bände. Denn dahinter verbirgt sich ein kürzlich eröffnetes Wohn- und Kulturzentrum für Geflüchtete, das eine Gruppe Münchner Kulturschaffender in Form einer Sozialgenossenschaft auf die Beine gestellt hat - gegen viele Widerstände.

Ein rechter Platz also für den Widerständler Wecker, der sich braungebrannt, in Jeans und weißem Hemd - die obersten zwei Knöpfe geöffnet - seinen Weg auf die Bühne bahnt. Zum leichten Silberflaum auf dem Kopf trägt er eine schwere Brille und darunter sein Dauerlächeln, das an diesem Abend zwischen freundlich und spöttisch, zwischen begeistert und gequält changiert. Um Poesie geht es in seinem Buch und um Widerstand - zwei Worte, "die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen". Und doch sei das Widerstehen als Poet unerlässlich, betont Wecker zu Beginn. Es sei eine "immer wieder neu aufzufrischende Lebenshaltung, um sich nicht einfach allem zu beugen, was einem als selbstverständlich aufgetischt wird".

Was folgt, ist eine einstündige Lesung seiner Gedichte und Gedanken, mal gesungen und mal gesprochen, mal mit Märchenonkelstimme gebrummt und mal so forsch geröhrt, dass man meinen könnte, da vorne sitze der wahlkämpfende Gerhard Schröder. Scharf wird Wecker, wenn er sich seine altbekannten Gegner vorknöpft, die "Mächtigen und Superreichen", die "Technokraten und Killerkapitalisten, Betriebswirtschaftszombies und Chefideologen." Sanft wird er, wenn's um die von ihm bewunderten Dichter geht - um Rilke, Benn und Trakl, "ohne den ich meine Pubertät nie lebend überstanden hätte". Doch Poesie ist für Wecker nicht nur tröstend, sondern auch trotzend: eine "verbale Steinschleuder, um den Goliath wenigstens ein bisschen ins Grübeln zu bringen".

Der Goliath, das sind die Mächtigen, die es zu stürzen gelte - nicht mit einer blutigen, sondern mit einer "zärtlichen Revolution", sagt Wecker. Denn andere umzubringen "ist seit jeher ein altbewährtes Mittel der Mächtigen. Wer sich dessen bedient, unterscheidet sich nicht von ihnen. Für mich ist ein Revolutionär nur der, der sich all dem entzieht, was allgemein dem Machterhalt dient. Wer sich befreit vom Herkömmlichen. Vom Hass. Vom Auge um Auge. Vom Patriarchat."

Sagt's und erntet wohlwollenden Applaus der Besucher - darunter einige junge Menschen, aber sehr viel mehr aus Weckers Generation, die mit ihm und seinen Liedern mittlerweile ein gesetztes Alter erreicht haben. Und doch ist dieser Künstler der Kunst nicht müde - und des Widerstands auch nicht. Später wird er draußen an einem Tisch Platz nehmen und Bücher signieren - vor sich ein Weißbier, im Mundwinkel eine Zigarette. "Nennt mich gerne einen Spinner/Utopisten und naiv", singt er in einem seiner neuen Lieder. Naiv sei er?, hat er zuvor auf der Bühne gefragt - und die Antwort selbst gegeben: "Na und!"

Patrik Stäbler