Jetzendorf
Der den Wald erspürt

03.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:51 Uhr

Den Purrbach im Freyberg//schen Forst hat der Biber zum kleinen See aufgestaut und hier den größten Bau im Landkreis errichtet.

Jetzendorf (PK) PK TRIFFT den Förster Thomas Wenger, der Mensch und Natur einander näher bringen will. Als „Hort der Begegnung“ dient ihm dabei ein kleines Stückchen Forst bei Jetzendorf, das direkt an der Staatsstraße gelegen ist, aber dennoch wie ein verwunschener Märchenwald anmutet.

Wer sein Auto am Parkplatz in der Talsenke des Purrbachs verlässt, ist zunächst noch vom Rauschen des Verkehrs umfangen. Die Vögel im Geäst der hohen Bäume sind bemüht, sich dagegen mit ihrem Gesang durchzusetzen. Wenige Meter weiter – man hat bereits die ersten Bremsen verjagt, die bei Hitze gerne Blut lecken – warnt ein Schild: „Forststraße. Gesperrt für Kraftfahrzeuge aller Art.“ Unterzeichnet vom Chef der Freyberg’schen Gutsverwaltung, dem Besitzer des Areals. „Dieser Wald ist anders“ heißt es gleich darunter. Ein stilisierter Grünspecht prangt als Siegel daneben. Will heißen: Dieser Forst ist zertifiziert und bewirtschaftet nach PEFC Standard, einer Art unabhängiger, weltweiter Wald-TÜV für nachhaltiges Wirtschaften.

Verantwortlich für die Einhaltung der Vorschriften ist Wenger. Gut gelaunt, die Sonnenbrille im schulterlangen Haar steckend, empfängt der drahtige Naturbursche die Reporterin. „Komm, ich zeig dir was“, lotst der 46-Jährige ohne Umwege über steife Höflichkeitsfloskeln zum Mittelpunkt seines Reiches. Ein paar Mückenstiche und Kratzer von stacheligen Sträuchern später tut sich eine Lichtung auf, Holzbohlenhütte und Indianer-Tipi inklusive. Im Steinkreis glüht noch die Asche eines Lagerfeuers, der Duft von frisch gebrühtem Kaffee hängt in der Luft.

„Willkommen im Camp“ stellt sich ein bärtiger Waldschrat als Joscha Grolms vor – seines Zeichens einer der wenigen professionellen Fährtenleser Deutschlands, zertifizierter Wilderness und Field Guide, Mitglied der International Society of Professional Trackers. Gerade betreut er einen Lehrgang im Auftrag von „Wildniswissen“. Diese Organisation „lehrt vom Jugendlichen bis zum Manager die Menschen, wieder in Kontakt mit der Natur zu treten, mit ihr zu kommunizieren“, erklärt Wenger, der selbst ebenfalls zu den Dozenten des von Wolfgang Peham gegründeten Instituts gehört. Nicht selten wird der sechsfache Vater zudem als Gutachter gerufen, wenn es gilt, anhand von Bissspuren Fuchs, Hund oder Wolf als „Täter“ in einem Schafskrimi auszumachen.

Bevor Wenger im Herbst 2006 seine Arbeit im Freyberg’schen Forst aufnahm, lebte er ein halbes Jahr hier im Camp, um „den Wald zu erspüren“. Das, so betont der geprüfte Wildnispädagoge, habe „überhaupt nix mit esoterischer Spinnerei zu tun“. Eher mit einer intensiven Bodenständigkeit. „Jeder Wald ist anders“, weiß der studierte Forstwirt nur zu gut, hat ihn seine berufliche Laufbahn doch in etliche Regionen Deutschlands geführt. Nach dem Studium ist er sechs Monate lang sogar in Amerika „von Nationalpark zu Nationalpark gewandert“, um Erfahrungen zu sammeln. Wie man einen Wirtschaftswald richtig pflegt, hat er sich bei den Indianern abgeschaut. „Nur heimische Arten, keinerlei Kahlschlag, keine Chemie, aber auch kein schlechtes Gewissen, mit dem gebührenden Respekt das zu nutzen, was die Natur uns gibt“, so seine Devise.

Dazu gehört es für den Förster, der halbtags beim Freiherrn von Freyberg angestellt und zudem für andere Betriebe als selbstständiger Berater tätig ist, sich dem Klimawandel rechtzeitig zu stellen. Denn: „Der Wald erlaubt keine schnelle Reaktion“. Es sei deshalb wichtig, „ein gut sortiertes Warenlager vorzuhalten“ ist er überzeugt. Wenger hat dabei die rund 25 Baumarten im Visier, die sich im – noch von der Fichte dominierten – Forst bei Jetzendorf sukzessive ihren Lebensraum erobern sollen.

Wenger freut sich, dass sein adliger Dienstherr „nicht nur auf Zahlen schaut“ und ihm stattdessen erlaubt, auf 2,5 Hektar Fläche, die früher als Bullenwiese diente, ein Experiment zu verfolgen – die Schaffung eines Biotops. Ein „Urwald“, in dem der Biber das tun darf, „was er gelernt hat“. Die Burg des Nagers ist die größte im Landkreis, der zugehörige Damm staut den Purrbach zum See auf. Glitzernde Libellen schwirren über das Wasser, ein Buntspecht macht sich am Stamm einer toten Buche zu schaffen. Wenn der Biber weiter zieht, trocknet der verlassene Uferabschnitt wieder ab – gut zu sehen im oberen Verlauf des Baches. Mit seinem Verbiss hat der Biber hier lichte Strukturen geschaffen, Ahornsprösslinge streben nach oben. Und unten fühlen sich Wechselkröten und Gelbbauchunken wohl. Fledermäuse, Raufußkauz und Uhu gehören ebenfalls zu den ansonsten eher seltenen Bewohnern, zu deren Arterhalt Wenger mit Verbänden wie dem LBV und dem BN zusammenarbeitet. „Jetzt wart ich noch auf den Schwarzstorch“, verrät Wenger und zeigt auf einen Baumriesen mit u-förmiger Krone: „Da droben könnte er nisten“.

Und wie hält er es mit der Jagd? Die gehöre, mit dem nötigen Wissen gepaart, zur „vernünftigen Hege des Waldes einfach dazu“, meint der Waidmann. Schränkt aber ein: „Darunter verstehe ich aber keineswegs das Töten als sportliches Vergnügen“. Iltis oder Eichelhäher müssen seine Kugel also nicht fürchten.