Bregenz
Der Clown demontiert sich selbst

Viel Spektakel und Technik: Giuseppe Verdis "Rigoletto" als Neuiszenierung von Philipp Stölzl bei den Bregenzer Festspielen

18.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:29 Uhr
  −Foto: Kästle/dpa

Bregenz (DK) Eines vorweg: Verdis "Rigoletto" ist an sich nur bedingt Seebühnen-tauglich.

Ein düsteres Kammerspiel um den zynischen Narren Rigoletto, der (und dessen Tochter) zum traurigen Opfer wird. Die Vorgänger-Inszenierungen von "Carmen", "Turandot" oder "Aida" setzten auf Werke mit üppigen Chor-Auftritten, auf große Bühnenwirkung in den fußballstadionhaften Dimensionen der Bregenzer Seebühne - aber immer auch auf den Anspruch einer eigenen, oft auch eigenwilligen Interpretation.

Philipp Stölzls aktuelle "Rigoletto"-Sichtweise ist sehr werkimmanent und stellt sich vor allem über die Bühnengestaltung dar, die der Regisseur zusammen mit Heike Vollmer konzipiert hat: Ein riesiger, voll animierter Clownskopf - der Prototyp wiegt zusammen mit seiner Halskrause als Spielfläche 140 Tonnen - erzählt sein Schicksal. Er kann extrem viel, nicht nur physisch, sondern auch in Sachen Ausdruck. Er blinzelt, er klappt den Mund auf und zu (und "verschluckt" damit des Herzogs sexuelle Ausschweifungen), er senkt und wendet den Blick und taucht auch mal mit dem Kiefer ins Wasser. Er ist eine technische Meisterleistung.

Und: Er ist der Titelfigur Rigoletto wie aus dem Gesicht geschnitten. Wie diese im Verlauf des Stückes vom Mitläufer zum Opfer wird, macht auch der Clownskopf den Fall der Figur mit. Die Augen kullern ins Wasser, die Nase wird abmontiert und man zieht ihm die Zähne - so dass er zum Totenkopf mutiert, aus dem er zum Schluss bittere Bodensee-Tränen weint. Das ist gut gemacht von Stölzl, der sonst viel im Filmgenre unterwegs ist ("Der Medicus" etc. ) und auch für Rammstein dreht. Und es ist auch für denjenigen nachvollziehbar, der sich noch nicht viel mit dem Stück beschäftigt hat.

Darüber hinaus wird nicht psychologisiert - was die Figuren an sich blass bleiben lässt. Allen voran den Frauen-süchtigen Herzog, der sich an mehrfachbusigen Sexpuppen zum "La donna è mobile" verlustiert, sonst aber kein eigenes Profil bekommt (außer dass Stephen Costello gut singt). Was wiederum auch die blinde Liebe der unschuldigen Gilda unverständlich macht, mit der sie sogar ihr junges Leben opfert. Allein diese eine Person ist es, die am Premierenabend anzurühren vermag. Was weniger daran liegt, dass Mélissa Petit mit Rigolettos Luftballon 45 Meter in die Höhe steigt und dort neckisch ein Bein über die Brüstung reckt, sondern vor allem, dass sie glasklare Koloraturen und innigen Stimmschmelz hören lässt und im blauen Kleid mit roten Schuhen (Kostüme: Kathi Maurer) große Ausstrahlung auf die monströse Bühne bringt. Dagegen wirkt Papa Rigoletto (stimmlich achtbar: Vladimir Stoyanov) mehr über sein riesiges Bühnendouble denn als Figur selbst.

Stölzl hat sich technisch in drei Jahren Vorbereitungszeit viel Mühe gemacht und eine unglaubliche Bühnenmaschinerie auf neuestem technischen Stand aufgefahren. Die Verlegung des Stücks in einen Zirkus ist nachvollziehbar, aber nicht neu. Ebenso wenig wie das poetische Bild des Luftballons als Sinnbild für Lebensträume (mehrmals fliegt ein kleiner oder großer davon in die Luft). Extrem und durchaus bewundernswert ist, was die Sängerinnen und Sänger zusätzlich leisten müssen in Sachen Klettereien in schwindelerregender Höhe. Dazu wuseln und turnen Chor, Statisten und Artisten immer um die Hauptdarsteller herum und lenken die Aufmerksamkeit auch von so gewichtigen Stimmen wie Miklós Sebestyén alias Sparafucile ab, der sich nebenbei noch als Messerwerfer betätigt.

Ach ja: Ins Wasser fällt man auch immer wieder. In dieser Bregenz-Produktion besonders oft. Bei der Gräfin Ceprano, die so vom Herzog nach kurzem Enthusiasmus entsorgt wird, ist das noch nachvollziehbar, bei den vielen anderen aus dem Zirkus-Hofstaat nicht immer. Denn Stölzl macht auch da Spektakel, wo es im Stück eigentlich keines gibt. Und die Musik? Sie tut dazu das einzig richtige: Sie ist klar, quirlig und deutlich - denn größere Feinheiten würden sowieso untergehen. Verdi hält das aus. In diesem Sinne ist Enrique Mazzola mit den Wiener Symphonikern auf dem richtigen Weg. Und die weiterentwickelte Soundanlage hat das Bregenzer "Richtungshören" noch verfeinert und um zusätzliche Effekte (Raumklang, Gewitter, Klopfen an einer Tür etc. ) angereichert.

Schon jetzt sind fast 95 Prozent der Aufführungen ausverkauft. Der neue "Rigoletto" dürfte in Sachen Opern-Spektakel die meisten der Besucher glücklich machen.

ZUM STÜCK
Theater:
Seebühne Bregenz
Musikalische Leitung:
Enrique Mazzola, Daniele Squeo
Inszenierung:
Philipp Stölzl
Bühne:
Philipp Stölzl, Heike Vollmer
Kostüme:
Kathi Maurer
Vorstellungen:
bis 18. August
Karten:
(0043) 55744076