Regensburg
Der Brandner Kasper kommt in die Hölle

Der Regensburger Autor und Regisseur Joseph Berlinger bringt eine neue Fassung des Klassikers heraus

24.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:09 Uhr

Der Boandlkramer sucht sein Glück nun in der Hölle: Probenszene aus Joseph Berlingers Stück - Fotos: Meinelt

Regensburg (DK) Da war er in 150 Jahren nicht: Der Regensburger Theaterregisseur, Autor, Filmemacher und Journalist Joseph Berlinger schickt den Brandner Kasper in die Hölle. Ein ungewöhnlicher Ort für jemanden, der bereits einige Jahre im Paradies verbracht hat. „Das Bier muss nicht bezahlt werden, und auch ein Schafkopf geht jederzeit zusammen.“ Aber so ganz ohne Sünde. Furchtbar fad sei ihm da heroben, schimpft der Brandner Kasper in Berlingers Neuauflage des alten Stoffs für den Verein Kultur-vor-Ort – Hohengebraching in Schloss Hohengebraching bei Pentling.

Nach 150 Jahren ist Schluss mit Daseinsanalyse und putzigem Himmelsklamauk. Der Brandner Kasper hockt im Paradies, und ihm ist langweilig. Er macht sich auf, will die Karten mit dem Boandlkramer neu mischen und sein Glück in der Hölle suchen.

Der Philosoph Theodor von Adorno sah in Odysseus den Urtyp des modernen Menschen, der sich gegen sein Schicksal und gegen seine Identität auflehnt. Der Brandner Kasper ist somit nicht die erste literarische Figur, die sich gegen den Wahlspruch der Götter stellt und ihr Schicksal in die eigene Hand nimmt. Aber sie ist die Bayerischste. Und es mag wohl kaum eine Figur geben, die besser zu Joseph Berlinger passt, als ein Brandner Kasper in der Hölle.

Man kann ihn als einen der unabhängigsten und kreativsten Geister der Regensburger Kulturszene bezeichnen. Einer, der sich Freiheiten nimmt und Freiräume schafft. Gleichzeitig aber kompromisslos ist in seiner künstlerischen Ausdrucksform. „Ich mache vor allem das Theater, das mir gefällt“, sagt er.

1952 kam er in Lam am Fuße des Ossers zur Welt. Schon früh hat er sich um den bayerischen Dialekt verdient gemacht. Zu Beginn der 70er Jahre veröffentlicht er erste zeitkritische, kabarettistische Mundartgedichte. Später promovierte er zur Bedeutung des Dialekts. Den Durchbruch als Mundartdichter schaffte er 1976 mit dem Buch „wohnzimma gflimma“, in dem er das Medienverhalten des Bayerwaldlers aufs Korn nimmt. Berlinger nutzte die Mundartdichtung nie, um Heimatkitsch zu produzieren. Sie karikiert und reibt sich am Fremden.

Kreative Reibung bieten Berlinger immer wieder Außenseiter. Mit Adalbert Stifter im Gepäck ging er auf Reisen zu dessen Wirkungsstätten und schrieb das Reisebuch „Das Meer muss ich sehen“. „Stifter wird zu Unrecht als Schülerlangweiler gesehen“, sagt er. Zu Beginn der 90er Jahre widmet er sich dem Thema Gewalt und ihren gesellschaftlichen Metaphern. Seine „Trilogie der Gewalt“ mit den Stücken „Conquista“, „Blomberg“ und „Dollinger“ sorgte für Aufsehen. Auch Berlingers Brandner Kasper ist ein Affront gegen das weiß-blaue Paradies und alle, wenn auch wohlgemeinte Utopie. Ein Affront ja. Aber wer den Regisseur des „Dollingerspiels“ und des „Sommertheaters im Hesperidengarten“ oder der „Gluck Landpartie“ im Altmühltal kennt, der weiß: Es ist keineswegs die reine Lust an der Provokation, die ihn antreibt, seine Figuren in fremde Bilderwelten und an ungewöhnliche Orte zu setzen. Es ist die Lust am Theater in seiner ureigensten Form. Realität zu abstrahieren und für den Zuschauer, subtil und poetisch den Perspektivwechsel einzuleiten. Gut möglich, dass die Hölle spannender ist als das Paradies. Berlinger liebt ungewöhnliche Orte. Seine Theaterwelten inszeniert er in Kalksteinbrüchen („SFinX Poesie der Apokalypse“), in Wirtshäusern, Wald und Fluren, auf Donauschiffen („Napoleon“) oder an historischen Plätzen. Über das 300 Jahre alte Bauernhaus der Emerenz Meier bei Waldkirch fand er seinen Weg zur vergessenen bayerischen Volksdichterin, die 1906 in die USA auswanderte. Sein Theaterstück „Emerenz oder Die Reise nach Amerika“ brachte sie zurück ins Bewusstsein. 1982 wurde es am Stadttheater Ingolstadt uraufgeführt, mit Lisa Fitz in der Hauptrolle.

Berlinger sucht weder feste Bühnen noch feste Ensembles. Und so zwängt er die Hölle für den Brandner Kasper nicht in das düster-schaurige Bühnenbild einer Theaterbühne. Er lässt sie entstehen in den Räumen und Kellergewölben von Schloss Hohengebraching. Der himmlische Teil nimmt seinen Lauf im Schlosspark unter Linden. „Im Himmel ist es ganz normales Bauerntheater. So wie man es sich halt vorstellt“, sagt er. Die Hölle wird anders. Dort laufen Spielszenen parallel in einer Endlosschleife, eine Art Performance bei dem der Zuschauer durch die Räume wechselt und auch vor Überraschungen nicht sicher ist.

Die Hauptrollen sind beim Brandner Kasper zwar mit Profis besetzt, mit denen er viele Erfolge feierte. Die Regensburger Schauspielerin und Dramaturgin Eva Sixt gehört dazu. Sie übernimmt die Dramaturgie und wird als Muttergottes im Himmel weilen. Für den Brandner Kasper engagierte Berlinger Burchard Dabinnus, der lange unter Dieter Dorn am Bayerischen Staatsschauspiel arbeitete. Werner Rösch ist der Boandlkramer. Berlinger arbeitet aber auch gerne mit Laien. Egon Johannes Greipl, ehemaliger Regensburger Kulturreferent und oberster bayerischer Denkmalschützer, spielt zum Beispiel den Petrus. Das Musikstück wird an jedem Abend von einem anderen Musiker präsentiert.

Man darf gespannt sein auf Berlingers Brandner Kasper. Denn nicht nur für Bayern symbolisiert er die Ursehnsucht des Menschen: gegenüber dem Tod den „Gras Ober“ (Trumpfkarte im altdeutschen Kartenspiel) im Ärmel zu haben.