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Der Bestseller feiert Geburtstag

Seit 20 Jahren läuft in Ingolstadt der Audi A4 vom Band – bis heute ist er das erfolgreichste Modell

04.11.2014 | Stand 02.12.2020, 22:02 Uhr

Der Vorgänger: Bis 1994 lief der Audi 80 vom Band. Das Foto zeigt die erste Generation (ab 1972), intern B1 genannt.

Wer laut brüllt, bekommt viel Aufmerksamkeit – das gilt auch in der Autowelt. Die Titelseiten von Fachmagazinen zieren meist Sportwagen mit spektakulärem Design und ps-starken Motoren. Häufig handelt es sich dabei um Imageprojekte der Hersteller, die nur in homöopathischen Dosen produziert werden – weil sie nahezu unerschwinglich sind. Umsatzbringer sind andere, die stillen Stars. Sie fallen weniger auf, überzeugen aber durch hohe Alltagstauglichkeit. Zu dieser Kategorie gehört der Audi A4. Als er 1994 auf den Markt kam, löste er die weniger erfolgreiche vierte Generation des Audi 80 ab – und wurde schnell zum Liebling der Kunden.

„Es war einer der steilsten Serienanläufe der Unternehmensgeschichte“, sagt Ralf Friese von der Abteilung Audi-Tradition. „Im ersten Jahr wurden spektakulär viele Autos verkauft.“ Nicht nur im ersten Jahr: Der A4 ist das erfolgreichste Modell der Marke: Mehr als sechs Millionen liefen bislang vom Band. Allein 2013 wurden knapp 338 000 Stück verkauft. Die größten Märkte sind China (dort gibt es exklusiv eine Langversion), Deutschland und die USA.

Leider sind auch Stars nicht vor Rückschlägen gefeit: Pünktlich zum Jubiläum verkündete Audi vor einigen Tagen den wohl größten Rückruf in der Unternehmensgeschichte: 850 000 A4 ab dem Baujahr 2012 müssen in die Werkstatt. Ein Softwarefehler kann bei Unfällen in Ausnahmesituationen dazu führen, dass der Airbag nicht auslöst.

1994 war der A4 für Audi ein Meilenstein, denn er kehrte erstmals die Gewichtsspirale der B-Reihe (interne Bezeichnung) um: Er war trotz besserer Technik leichter als der Vorgänger Audi 80. „Und es war eine Abkehr vom bisherigen Design“, sagt Experte Friese. „Der A4 sah mit seinem neuen Gesicht aus wie ein kleiner A8.“

„Unser Brot- und Butter-Auto“, nennt Peter Hochholdinger den Audi A4. Hochholdinger leitet im Ingolstädter Werk die Fertigung der B-Reihe-Modelle – also A4/A5/Q5. Inzwischen ist aus dem A4 also eine ganze Familie geworden. Dabei war er einst das „Küken“ der Marke mit den vier Ringen: Denn als der A4 vor zwanzig Jahren auf den Markt kam, gab es noch keinen A3 und auch keinen A1. Der A4 markierte das untere Ende der Modellpalette.

Seitdem hat sich viel verändert. Bei der ersten A4-Generation (B5) lief auf der einen Linie die Limousine vom Band, auf der anderen der Avant. Mehr gab es nicht. Heute werden an diesen beiden Linien mit dem A5 und dem Q5 zwei Modelle mehr gefertigt. Und: Es gibt viel mehr Derivate – etwa einen RS4, einen Q5 Hybrid oder einen A5 Sportback. „Es ist viel komplexer geworden“, sagt Hochholdinger, der die Fertigung seit dreieinhalb Jahren leitet. „Früher hing in der Fertigung ein Zettel an der Motorhaube, von dem der Mitarbeiter ablesen konnte, was eingebaut wird. Heute ist das undenkbar.“

Heute gibt es Plasmatron-Nähte auf dem Dach, 135 Meter Klebeverbindungen und vor allem: immer mehr Technik. Das Auto, sagt Hochholdinger, werde immer mehr ein rollender Computer. 2004 waren in einem A4 25 Steuergeräte verbaut, das Auto hatte eine Rechenleistung von 14 Megabyte. „Heute sind es 50 Steuergerät und 250 Megabyte Rechenleistung.“ Waren es damals noch 250 Steckverbindungen, so sind es heute bereits 450. Pro Jahr werden 1,5 Milliarden Teile ans A4-Band geliefert – „im Takt“, wie Hochholdinger betont. „Das ist eine logistische Meisterleistung.“ Natürlich komme es dabei auch mal zu Problemen, gibt er zu. „Aber wir lösen sie.“

Die meisten Teile liegen längst nicht mehr auf Lager, sondern werden pünktlich angeliefert. Sollte tatsächlich mal ein wichtiges Bauteil nicht kommen, könnte man höchstens noch 40 bis 45 Minuten weiterproduzieren, dann stünden die Bänder still. Diesen Super-GAU gilt es mit ausgeklügelter Logistik zu vermeiden – dabei spielt vor allem der Computer eine wichtige Rolle.

Etwa 700 A4 rollen täglich in Ingolstadt vom Band – Limousine, Avant und Allroad. Das Werk Ingolstadt ist laut Hochholdinger die zweitgrößte Automobilfabrik Europas – 576 680 Fahrzeuge wurden hier im vergangenen Jahr produziert. Nicht alle A4-Modelle laufen übrigens in Ingolstadt vom Band. Über die sogenannte Drehscheiben-Regelung ist es möglich, das Modell auch am Standort Neckarsulm zu produzieren – rund 30 000 sind das pro Jahr.

Etwa 33 bis 35 Stunden dauert es, bis ein A4 fertig ist – Karosseriebau, Lackierung, Montage. 8800 Menschen arbeiten in der A4/A5/Q5-Fertigung. Dabei haben sich auch die Bedingungen für die Mitarbeiter stark verbessert. Es gibt nur noch wenig Überkopfarbeit, dafür Hebehilfen und ergonomische Montagesitze. „Die Menschen müssen immer länger arbeiten, deshalb gibt es hier viel zu tun“, sagt Hochholdinger. Nächstes Jahr startet die Produktion der neuen A4-Generation. DK