Schrobenhausen
Der bekannte Unbekannte

Hunderte Kunstinteressierte nutzten am Wochenende die Gelegenheit, auf Lothar Vietzkes Weg zu wandeln

03.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:24 Uhr
Dass Vietzkes Weg so viel mehr bedeutete als das bisher Bekannte, davon überzeugten sich am Wochenende Hunderte Besucher. Mit einem Kunstfest hatte Künstlergattin Hildegard Vietzke (l.) die Ausstellung eröffnet. −Foto: Fotos: Ammari Addas

Schrobenhausen (SZ) Wer bislang glaubte, ziemlich gut Bescheid zu wissen, über das kreative Schaffen des vor zwei Jahren verstorbenen Künstlers Lothar Vietzke, musste seine Meinung am Wochenende womöglich ein wenig geraderücken. Im Pfarrsaal lief die Ausstellung "Den ganzen Weg ist er gegangen".

Der spontane erste Eindruck bei Betreten des Pfarrsaals: Himmel, wie viele Arbeiten! Dabei seien das ja längst nicht alle, versichert Künstlergattin Hildegard Vietzke. Mit nicht zu übersehender Akribie hat sie die Ausstellung konzipiert - und mit spürbar viel Liebe.
Zu sehen gibt es feinste Zeichnungen, mitunter kaum mehr als der Hauch einer Skizze - dann wieder kräftige, massige Bildhauerarbeiten. Filigrane Figürchen tummeln sich im Dunstkreis eines überlebensgroßen, grob gearbeiteten Gegenstücks aus Holz auf der Bühne. Es gibt Werke aus Lothar Vietzkes Anfangsjahren, solche, die von seinem Weg ins Abstrakte zeugen, dann wieder einige, die während seiner Ausbildung an der Akademie entstanden, bis hin zu jenen, die sich gewisser Themen oder japanischer Einflüsse annehmen. Arbeiten, die die gewohnte Handschrift Vietzkes tragen und solche, die verblüffen. Ein Epilog aus wenige Wochen vor seinem Tod entstandenen Werken rundet Lothar Vietzkes Lebens- und Künstlerweg ab.
Dazwischen spitzelt manch derart berührend Privates durch, dass es fast einer kleinen innerlichen Ermunterung bedarf, um es näher zu betrachten. Fotos des Künstlers im familiären Kreis etwa, seine persönlichen Skizzenbücher, oder die bewegenden Arbeiten, die er von seiner Schwiegermutter kurz vor ihrem Tod gefertigt hat. Besonders hier wird eines der großen Themen auf Vietzkes Weg, das Miteinander, förmlich greifbar. Ein Miteinander, das er lebte, und das sich damit unweigerlich in seiner Kunst widerspiegelt.
Was diese Vietzke-Schau von sämtlichen vorherigen unterscheidet: Erstmals offenbart sich hier sein gesamter künstlerischer Werdegang - und damit, welch immenser Ideenreichtum, welche Fantasie, und welch tiefes Verständnis für die Menschen um sich herum in diesem ruhigen Mann geschlummert haben müssen. Und vielleicht auch mehr Spitzbübigkeit, als ihm so mancher zu Lebzeiten zutraute. Seinen Schulkameraden , Bauhofmitarbeiter Werner, lässt Vietzke auf einem seiner Fotos einfach mal so in seinem stadtbekannten orangefarbenen Outfit durch Pompeji fegen.
"Jetzt hat sie sich noch einmal durch die Wolken gedrängt. Die Sonne! Denn sie möchte gute Nacht sagen, zu allen, die sie heute so wenig gesehen haben", ist zur naiv gehaltenen, strahlend fröhlichen Sonne zu lesen, die den Betrachter aus Vietzkes "Spätsommerlichem Malbuch" heraus anlächelt. Oben auf der Empore gibt es ein realistisches Pendant: Da nämlich tänzelt - mit feinen Tönen, teils von Nik Richter, untermalt - einer von Vietzkes Videoloops über die Wand. Es tauchen Wolken auf, durch die sich ganz allmählich die Sonne Bahn bricht. Ein Moment mit Sinnbildcharakter, der glücklich macht. Denn das war es auch, das Lothar Vietzke am Herzen lag: "Bei seiner ersten Einzelausstellung hat er als Zielsetzung in seiner Arbeit angegeben, er wolle den Menschen Freude machen", sagt Hildegard Vietzke beim Kunstfest, mit dem sie die Ausstellung gemeinsam mit Stadtpfarrer Josef Beyrer eröffnet. "Wenn jemand mit 65 Jahren stirbt, dann denkt man, das Leben wäre unvollendet", so Vietzke weiter, bevor sie dann diese Frage in den Raum stellt: "Aber wann ist es ganz?" Eine von Lothar Vietzkes Arbeiten heißt "Der Insichhörer" - ein Titel, der vielleicht wie kaum ein anderer den Künstler selbst beschreibt. Denn auch Vietzke war jemand, der ganz tief in sich hinein hören konnte - um dann nach außen faszinierend zeitlose Kunst zu schaffen.

Ute De Pascale