Roth
Den Jugendlichen zur Seite stehen

Rother Streetworker Nadine Röder und Jürgen Fugmann als Wegweiser in turbulenten Jahren

10.05.2021 | Stand 23.09.2023, 18:29 Uhr
Stehen den Jugendlichen in Roth mit Rat und Tat zur Seite: Nina Röder, Jürgen Fugmann. −Foto: Schmitt

Roth - Das Ziel ist fachlich definiert. "Mobile Jugendarbeit will die Lebenssituation junger Menschen nachhaltig verbessern und sie in ihrer Entwicklung fördern." Diesen Anspruch hat die Stadt Roth schon lange für so überzeugend gehalten, dass man reagiert hat.

Aufsuchende Jugendarbeit oder Streetwork, wie man es auch nennt, wenn Sozialarbeiter im öffentlichen Raum unterwegs sind, gehört in der Kreisstadt bereits seit 2008 zum Repertoire der sozialen Angebote. Gegenwärtig sogar auf einem optimalen Level, wie Jugendhausleiterin Karin Reich betont. Denn seit November 2020 sucht ein gemischtgeschlechtliches Team den Kontakt zu Jugendlichen in Roth.

Jürgen Fugmann ist Mitarbeiter der ersten Stunde. Der 53-jährige Pädagoge arbeitet seit 2008 auf den Straßen Roths. Er verfügt über enorme Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen und ihrer Lebensrealität. Fugmann will erster Ansprechpartner für sie sein. Ohne große Hürden, authentisch, zugewandt und vertrauensvoll einschließlich Verschwiegenheitspflicht. Niedrigschwellig wird eine solche Präsenz im Fachjargon genannt.

"Ich sehe mich als Wegweiser, um bei Problemen die richtigen Stellen empfehlen zu können", sagt er. Seit November 2020 unterstützt ihn die 25-jährige Sozialpädagogin Nadine Röder. Allerdings wegen Corona unter extrem erschwerten Bedingungen.

"Wir gehen eigentlich immer zu zweit raus, aber kurz nach meinem Arbeitsantritt waren Treffen draußen nicht mehr so leicht möglich", beschreibt Röder die Lage. Kalte Jahreszeit, Abstandsregelung und Ausgangsbeschränkungen. Alles Rahmenbedingungen, die Eins-zu-Eins-Begegnungen und Gruppen-Treffen erschwert haben. "Und das in einer Situation, in der der Bedarf größer ist", lautet Röders Überzeugung. Denn die Corona-Isolierung führt zu zusätzlichen Problemen: "Schließlich ist auch der offene Treff des Jugendhauses der Stadt Roth seit November geschlossen", ergänzt Karin Reich. "Erst wenn die Inzidenz in Roth an fünf aufeinanderfolgenden Tagen unter 100 ist, dürfen wir wieder auf die Straße", sagt Jürgen Fugmann. Jetzt, da es wärmer wird, beginnt eigentlich die Hochzeit der aufsuchenden Jugendarbeiter. "Wir müssen raus, wenn sich die Leute draußen aufhalten."

Dann steuert das Duo die Treffpunkte der Jugendlichen in Roth an. Besonders beliebt bei den Kids ist der Abenteuerspielplatz beim Fabrikmuseum,. "Wegen der Hütten", weiß Nadine Röder. Die Tischtennisplatten im Wiesengrund, der Spielplatz bei den Rothmühlpassagen und die verschiedenen Parkdecks sind ebenfalls gut frequentierte Plätze. Seit neuestem auch die Brücke über die Aurach. Insbesondere an den Plätzen mit Nachbarschaft werden die Jugendlichen häufig als Störenfriede empfunden. "Dann müssen wir um Verständnis werben, aber auch die Jugendlichen einbremsen", sagt Jürgen Fugmann.

Ohnehin ist ein Faktor bei mobiler Jugendarbeit besonders wichtig: "Sie hat immer einen starken Vernetzungscharakter." Soll heißen, dass die Pädagogen Ansprechpartner für alle sein wollen: Jugendliche, Familien und Einrichtungen. Um dann, wie Fugmann sagt, "Wegweiser" für die Kids sein zu können, müssen Streetworker ferner die soziale Infrastruktur einer Region besonders gut kennen. Schließlich ist die Palette des Bedarfs groß. Schwierigkeiten in der Schule, bei der Ausbildung, in der Familie oder mit der Gruppe stehen dabei ganz oben. Mitunter kommen auch mal Konflikte mit dem Gesetz zur Sprache.

"Alles absolut jugendtypischer Durchschnitt", sagt Fugmann. Denn echte soziale Brennpunkte gibt es in Roth nicht. Dort könnten Probleme gehäuft und damit unter Umständen auch im Einzelfall in gesteigertem Ausmaß auftreten. "Beispielsweise haben wir keine besonderen Drogenprobleme", unterstreicht Fugmann.

Im Laufe einer Saison haben die beiden Rother Streetworker Kontakt zu etwa 120 Jugendlichen. "Wir sind absolut neutral für sie da, denn wir vertreten nicht das Ordnungsamt oder die Polizei", betont Nadine Röder. "Wir kommen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern sind Ansprechpartner in allen Lebenslagen", ergänzt Fugmann. Besonders wichtig ist bei Streetwork außerdem die absolute Freiwilligkeit. "Wir zwingen uns niemandem auf, sondern akzeptieren, wenn Jugendliche nichts mit uns zu tun haben wollen", sagen die beiden Pädagogen, die sich deshalb in ihrer Arbeit selbst stets sehr zurücknehmen. "Die Jugendlichen stehen im Mittelpunkt."

Obwohl ein gewisser Anteil ihrer Klienten auch die Angebote im Jugendhaus nützt, gibt es eine andere Gruppe, für die schon der bloße Kontakt mit Strukturen unerwünscht ist. Sie fürchten "zu viele Regeln". Oft sei zu hören: "Wir wollen freier sein", schildern Fugmann und Röder ihre Erfahrungen. Streetwork ist gewiss vor allem auch für diese Gruppe wichtig. Denn gerade aus großer Freiheit entstehen manchmal große Flausen.

Wenn jetzt bald wieder weitgehend Normalbetrieb bei den beiden Streetworkern herrscht, dann, so glaubt Karin Reich, steht die Bewältigung der Corona-Folgen ganz im Mittelpunkt. "Es wird noch dauern, bis wieder Normalität herrscht", sagt die Jugendhaus-Chefin. Was genau auf Fugmann und Röder zukommen wird, dazu können beide aber lediglich spekulieren. "Wir werden uns die Lage vor Ort ansehen und reagieren", sagen sie. Karin Reich nimmt die eigene Erfahrung als Maßstab.

"Wenn ich als Jugendliche ein Jahr eingesperrt gewesen wäre, das hätte mich sehr verändert", sagt sie. "Wenn man sich nicht mit Freunden treffen und den 16. Geburtstag nicht feiern darf, das macht was mit dir", ist Reich überzeugt. "Man muss sich als junger Mensch nun ganz neu einstellen."

Jürgen Fugmann und Nadine Röder werden dabei tun, was sie immer schon getan haben: Als zuverlässige Partner für die Jugendlichen auftreten. Denn ihr Ziel ist fachlich definiert: "Die Lebenssituation junger Menschen nachhaltig zu verbessern und sie in ihrer Entwicklung zu fördern."

HK

Robert Schmitt