Lenting
Den Gleiswechsel möglich machen

Fachstelle gegen sexuelle Gewalt "WEIche" existiert seit drei Jahren - Regionale Kooperationspartner trafen sich in Lenting

10.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:35 Uhr
Das Team der Beratungsstelle "WEIche" präsentierte sich beim Treffen zum dreijährigen Bestehen mit dem Referenten (von links);: Udo Schwager (WEIche), Tilman Rentel (Psychiater und Traumatherapeut), Angelika Söder und Anna Karg (beide WEIche). −Foto: Gülich

Lenting (EK) Seit drei Jahren gibt es die"WEIche", eine Fachstelle gegen sexuelle Gewalt, im Landkreis Eichstätt.

Aus diesem Anlass trafen sich regionale und überregionale Netzwerk- und Kooperationspartner im Dienstleistungszentrum in Lenting. Auf dem Programm standen der Austausch, das Kennenlernen der Arbeit der Beratungsstelle sowie der Vortrag zum Thema "Traumatisierte Menschen verstehen und unterstützen" des Psychiaters und Traumatherapeuten Tilman Rentel.

Das Logo der Beratungsstelle ist eine Weiche, die Gleise von einer zu zwei Spuren führt - mit einem groß geschriebenen EI als Verbindung zum Landkreis Eichstätt in der Mitte. "Wir wollen Menschen mit ihrer Geschichte begleiten und ermutigen, mit und trotz ihrer erlittenen Erfahrungen einen neuen Lebensweg zu finden und neue Weichen zu stellen", fasste Psychologin und WEIche-Mitarbeiterin Angelika Söder das Ziel der Fachstelle zusammen. Eine Aufgabe sei die Beratung von betroffenen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sowie von Angehörigen und Bezugspersonen. Außerdem biete die WEIche Fortbildungs- und Präventionsangebote an. "Das Wissen um die Dynamik bei Missbrauch ist Basis der Arbeit. Sexueller Missbrauch ist immer Vertrauensmissbrauch. Die Täter gehen strategisch vor, so wird die Wahrnehmung der Betroffenen vernebelt und dadurch das sich Anvertrauen an jemand anders extrem schwierig", erläuterte Söder.

Landrat Anton Knapp hob hervor, dass - obwohl das öffentliche Interesse stark zugenommen habe - eine weitere Sensibilisierung und eine Entstigmatisierung der Betroffenen dringend notwendig sei. "Die Fachstelle leistet hierzu einen großen Beitrag sowie auch zur Prävention", sagte der Landrat. Das Ziel sei immer noch, wie schon bei der Gründung vor drei Jahren, "kein Raum für Missbrauch im Landkreis Eichstätt". Dass das Angebot angenommen werde, könne man an der Erweiterung des Personals sehen. Waren es bei der Gründung 2016 noch zwei Mitarbeiterinnen, arbeiten heute schon vier (darunter eine männliche Fachkraft) in der WEIche.

Die rund 80 Gäste erlebten einen höchst informativen und kurzweiligen Vortrag des Erlanger Facharztes für Psychiatrie, Psycho- und Traumatherapie, Tilman Rentel, der zum Thema "Traumatisierte Menschen verstehen und unterstützen" referierte und durch eine Gesangseinlage und kurze Austausch-Runden über die schönen Dinge des Lebens Gegengewichte zum belastenden Thema setzte. Diese "Stabilisierung der Ressourcenseite" ist laut Rentel auch eine Hauptgrundlage für seine Arbeit mit Traumatisierten.

Der Erlanger Arzt erklärte den Begriff "Trauma" als Erleben von Bedrohung, Todesangst, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Schutzlosigkeit und Verletzung. Er unterschied zwei Kategorien von traumatisierenden Ereignissen: Naturkatastrophen wie Erdbeben, Unfälle oder Krankheiten einerseits sowie "von Menschen gemachte" Katastrophen wie sexuelle Gewalt, schwere Vernachlässigung, plötzlicher Verlust vertrauter Menschen und sozialer Sicherheit andererseits. Rentel sagte: "Auch Zeuge von schrecklichen Ereignissen sein zu müssen, kann traumatisieren. "

Bei Naturereignissen fänden Säugetiere wie der Mensch normalerweise Trost und Schutz bei anderen Säugetieren. Bei den Gewalttaten anderer Menschen hätten sie erfahren müssen: "Unsere Art ist gefährlich! " Lieber vertraue man sich daher keinem anderen Säugetier mehr an, "oder wenn doch, dann dem Pferd, dem Hund oder dem Kaninchen", so Rentel. Angesichts der Tatsache, dass oft gar nicht das Ereignis selbst das Schlimmste sei, sondern das Nicht-Aufgefangenwerden vom sozialen Umfeld, sei besonders erschütternd.

Der Psychotherapeut nannte Zahlen: 2016 habe es über 12000 Ermittlungen und Strafverfahren nur für sexuellen Kindesmissbrauch gegeben. Jeder Siebte bis Achte in Deutschland sei betroffen, zu 75 Prozent Mädchen. 80 bis 90 Prozent der Täter seien Männer und männliche Jugendliche. Rund ein Viertel der Missbrauchsfälle fänden in der engsten Familie statt.

Anna Karg und Udo Schwager von der WEIche stellten zum Abschluss der Veranstaltung das neue, sich im Aufbau befindliche Angebot der Fachstelle vor: Beratung und Intervention für sexuell grenzverletzende Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren. Es beinhalte sowohl ein Training mit dem Jugendlichen als auch die Begleitung der Eltern, erläuterte Schwager. Karg fügte hinzu: "Das verstehen wir als aktiven Opferschutz, da durch die frühzeitige Arbeit mit Übergriffigen weitere potentielle Taten verhindert werden können. Studien belegen, dass erwachsene Sexualstraftäter häufig bereits im Jugendalter übergriffiges Verhalten gezeigt haben. "

Anne Gülich