Dem Volk aufs Maul schauen - Gedanken zum Wahlsieg von Donald Trump

09.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:04 Uhr

Es war der Witz des Jahrhunderts, als der schillernde Immobilientycoon Donald Trump Mitte Juni 2015 bekannt gab, er wolle beim Rennen um die US-amerikanische Präsidentschaft an den Start gehen. Ein echter Schenkelklopfer! Niemand nahm ihn ernst, nicht das politische Establishment, nicht die Medien, nicht die Analysten.

Schließlich hatte er schon mehrmals Interesse an einem höheren politischen Posten bekundet, um dann im letzten Moment einen Rückzieher zu machen. Und überhaupt: Was wollte diese skurrile bis unsympathische Type mit der schrägen Frisur, die so gar keine Voraussetzung für das wichtigste Amt in den USA mitzubringen schien? Allenfalls als politischer Pausenclown wurde der Milliardär gesehen, der etwas Farbe in die Diskussion brachte - aber als seriöser Gesprächspartner nicht taugte, und als Präsidentschaftskandidat schon gar nicht. Und dann sein Gepolter, sein Rabaukentum, seine steilen Thesen zu Randgruppen, über Frauen, zum Bau einer Mauer, zu umweltpolitischen Fragen, zum Außenhandel und so weiter und so fort. Übereinstimmende Meinung aller Leitartikler, Kommentatoren, hochgelehrten Professoren, Umfrageinstituten und etablierten Politikern: Trumps Chancen tendieren nicht gegen Null, sie sind Null. Wenn schon Donald, dann Duck, wurde geunkt.

Jetzt er es ihnen allen gezeigt, der Trump. Er wird als neuer Präsident ins Weiße Haus einziehen und der Katzenjammer beim politischen Establishment nicht nur in den USA ist groß. Trump sei unberechenbar, gar eine Gefahr für die Welt lauteten erste Reaktionen.

Nun mal langsam: Die USA und die Welt werden nicht nur mit Trump leben müssen, sondern auch leben können, vermutlich sogar ganz gut. Zunächst einmal: Der Mann ist erfolgreicher Geschäftsmann, also nicht komplett auf den Kopf gefallen. Er hat sich gegen alle Widerstände und alle Gegner durchgesetzt, muss also etwas von Taktik und Strategie verstehen und über das verfügen, was die Amerikaner "standing" nennen, Stehvermögen. Die Mannschaft, die ein Kandidat für seinen Erfolg braucht, muss ebenfalls stimmen. Zudem kann niemand Staatschef werden, ohne über eine gehörige Portion Realismus zu verfügen. Und dass ein Präsident nett sein muss, ist der US-amerikanischen Verfassung nicht verankert.

Vielleicht darf man daran erinnern, was sein mit so vielen Vorschusslorbeeren bedachter und als "Lichtgestalt" bezeichneter Vorgänger Obama denn eigentlich fertiggebracht hat. Guantanamo Bay ist auch acht Jahre nach dessen Amtsantritt nicht aufgelöst, die Welt nicht sicherer geworden, die Drohnenangriffe, bei denen zahllose völlig unbeteiligte Menschen umkommen, wurden unter dem Friedensnobelpreisträger sogar noch ausgeweitet. Die Waffengesetze zu verschärfen war der "mächtigste Mann der Welt" nicht in der Lage. Die Kluft zwischen Schwarz und Weiß hat sich in seiner Amtszeit vertieft. Mit seinem Namen ist gerade mal die Gesundheitsreform verknüpft, und die ist höchst umstritten und in weiten Kreisen der US-amerikanischen Gesellschaft sogar verhasst. So viel zum einstigen "Hoffnungsträger". Andererseits gibt es Beispiele, dass krasse Außenseiter sich nicht nur durchsetzten, sondern auch respektable Leistungen an den Tag legen. Arnold Schwarzenegger war Gouverneur von Kalifornien und er scheint einen ganz guten Job gemacht zu haben. Der Wrestler Jesse Venturo wurde zum Gouverneur von Minnesota gewählt (übrigens mit dem Slogan "Don´t vote for politics as usual"), und auch wenn er am Ende umstritten war, scheint es schlechtere Gouverneure als ihn gegeben zu haben. Ronald Reagan schließlich war ein mittelmäßiger Schauspieler und hat, bei aller berechtigter Kritik, einiges erreicht.

Nun hat Donald Trump sehr große Möglichkeiten, zu gestalten und ein starker Präsident zu werden. Momentan verfügen die Republikaner über die Mehrheit sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus. Tun und lassen, wonach ihm gerade der Sinn steht, wird auch er nicht können. Sogar ein Trump wird an bestimmten Realitäten und Gegebenheiten - und Interessengruppen - nicht vorbeikommen. In der Vergangenheit war es stets so, dass ein Präsident, der allzu sehr aus der Reihe tanzte, ganz schnell eingenordet wurde. Das weiß auch der Milliardär.

Und wenn er unkonventionelle Wege beschreitet, TTIP infrage stellt, die Energiepolitik neu diskutiert, eine Aussöhnung mit Russland ins Auge fasst? Umso besser, innenpolitisch wollten die Amerikaner ja einen Wechsel, und die Außenpolitik der USA ist in vielen Weltgegenden festgefahren, sie ist nicht nur nicht zielführend, sondern geradezu kontraproduktiv. Mit einem "unberechenbaren" Präsidenten Trump sind überdies Europa und Deutschland gezwungen, eigene Positionen kritisch zu hinterfragen und eingefahrene Denkmuster zu überprüfen. Das kann nicht schaden.

Vor allem wurde das politische Establishment in Europa und Deutschland hoffentlich wachgerüttelt. Was Trump zum Erfolg geführt hat, war die Tatsache, dass wesentliche Teile der Bevölkerung die bestehenden politischen Verhältnisse satt hatten. Sie hatten genug von inhaltsleeren Sprechblasen und von offensichtlich falschen Versprechungen. Sie waren nicht mehr bereit, die von sogenannten Eliten verordneten Denkmuster zu akzeptierten. Trump selbst hat sinngemäß gesagt, dass er die politisch korrekte Sprache wie überhaupt "political correctness" für ein Übel hält und viele Bürger waren ihm dankbar für solche Sätze.

Auch in Deutschland fühlen sich viele Menschen nicht mehr ernst genommen, fühlen sich falsch oder zumindest einseitig informiert. Sie erleben Politiker und Eliten als abgehoben, mitunter gar als unseriös, sehen ihre Meinungen und Bedürfnisse nicht mehr vertreten, werfen Politikern vor, über ihre Köpfe hinweg zu regieren, und haben ihre Probleme mit dem, was als "politisch korrekt" gilt.

"Dem Volk aufs Maul schauen" heißt ein oft zitierter Spruch. Er sollte öfter mal berücksichtigt werden, schließlich ist das Volk in einer Demokratie der Souverän. Donald Trump hat dem Volk offensichtlich aufs Maul geschaut - und spektakulär gewonnen. Das ist die Lehre aus der jüngsten US-amerikanischen Präsidentenwahl.