Ingolstadt
Dem Schrecken wieder ein Gesicht geben

Das Katharinen-Gymnasium möchte den Holocaust an regionalen Beispielen aufarbeiten

09.07.2012 | Stand 03.12.2020, 1:18 Uhr

Zusammenarbeit: Die Geschichtslehrer Alexander Schöner (links) und Matthias Schickel vom Katherl mit Susanne Urban (2. v. l.) und Elisabeth Schwabauer vom Internationalen Suchdienst - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Im Geschichtsunterricht der elften Klasse will das Katharinen-Gymnasium den Opfern des Nazi-Terrors auf lokaler und regionaler Ebene wieder ein Gesicht und einen Namen geben. Die Schule arbeitet dazu mit dem Internationalen Suchdienst und der Gedenkstätte Yad Vashem zusammen.

Man nannte sie „displaced persons“ – ihrer Heimat entrissene Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg zwangsweise auf deutschem Boden lebten: von den Nazis Verschleppte, Verfolgte, zur Zwangsarbeit Abkommandierte und schließlich den KZ-Höllen Entkommene. Acht Millionen Personen traf dieses Schicksal nach 1945, darunter waren auch Zwangsarbeiter in Ingolstadt und Umgebung, berichtete jetzt Susanne Urban vom Internationalen Suchdienst (ITS). Hauptsächlich Menschen aus westeuropäischen Ländern wie Frankreich, Belgien und Luxemburg. Darunter erschreckend viele Kinder.

Ziel des ITS war es nach Kriegsende, diese Menschen wieder nach Hause zu bringen zu ihren Angehörigen und ihre Schicksale mit Hilfe eines umfangreichen Archivs zu dokumentieren. Eine Arbeit, die heute als abgeschlossen gilt. Seit 2008 widmet sich der ITS deshalb verstärkt der Forschung und sucht Kontakt zu Schulen und Universitäten in ganz Deutschland. So auch zum Katharinen-Gymnasium in Ingolstadt, mit dem man künftig eng zusammenarbeiten möchte. Gemeinsames Ziel: Im Rahmen des Geschichtsunterrichts der elften Klasse den Opfern des Nazi-Terrors auf lokaler und regionaler Ebene wieder ein Gesicht und einen Namen zu geben. „Wir möchten Einzelschicksale nachzeichnen und dadurch die Maschinerie Holocaust deutlich machen“, schildert Geschichtslehrer Matthias Schickel das Ansinnen der Schule, das mit dem ITS und der Jerusalemer NS-Opfer-Gedenkstätte Yad Vashem als pädagogische Perspektive realisiert werden soll. Sehe doch der herkömmliche Geschichtsunterricht gerade einmal sieben Stunden zu diesem Thema vor, bemerkt Schickel.

Der ITS, der in Bad Arolsen/Nordhessen sitzt, möchte das Projekt mit Dokumenten aus seinen seit fünf Jahren für die Öffentlichkeit zugänglichen Archiven unterstützen. „Weil wir merken, dass daraus etwas Nachhaltiges wird“, begründet Susanne Urban die Bereitschaft zur Zusammenarbeit.

Jetzt hat sich der Suchdienst, der seit 1955 unter der Leitung des Komitees des Roten Kreuzes steht, deshalb 50 Elftklässlern vom Katherl in einem Vortrag vorgestellt. Und wartete sowohl mit beeindruckendem als auch erschreckendem Zahlenmaterial auf: So lagern in den Archiven des ITS 30 Millionen Dokumente zu Personen, die vom Nazi-Regime teilweise bewusst ihrer Identität beraubt wurden. Noch heute ruhen dort außerdem rund 2900 persönliche Gegenstände von Nazi-Opfern – wie beispielsweise Geldbörsen. Die Besitzer konnten nie ausfindig gemacht werden.

Von 25 000 während des Kriegs in Osteuropa gestohlenen Kindern konnten 10 000 durch den ITS wieder gefunden werden. Die Restlichen gelten als verschollen.

Gab es zu den Anfängen des Suchdienstes gerade einmal drei Anfragen nach Vermissten pro Tag, stieg die Anzahl innerhalb kurzer Zeit bereits auf 300 Anfragen täglich, berichteten Susanne Urban und ihre Kollegin Elisabeth Schwabauer. Seine größte personelle Ausdehnung erfuhr der Dienst in den Jahren 1948 und 1949: Damals zählte er 1800 Mitarbeiter. Heute sind es noch knapp 300. Der Internationale Suchdienst ist offiziell keine deutsche Behörde, sondern Angehöriger der Stationierungsstreitkräfte.

Finanziert wird die Einrichtung jedoch unter anderem durch Mittel des Bundesinnenministeriums. Der ITS müsse aus Deutschland heraus finanziert werden, sagt Susanne Urban hierzu. Dies sei eine der Kriegsfolgen.