Pfaffenhofen
Debüt einer neuen Geige

21.09.2011 | Stand 03.12.2020, 2:23 Uhr

Aufstrich mit Aufschlag: Ingolf Turban musiziert – mit seiner Stradivari und begleitet von Gabriele Seidel-Hell (Piano) - Foto: Erdle

Pfaffenhofen (PK) Kokett-entschuldigend verabschiedet sich Ingolf Turban vom begeisterten Publikum, leider habe sein Pfaffenhofen-Debüt 47 Jahre auf sich warten lassen; wenn er aber einmal kommt, der Münchner Meistergeiger, und mit Pianistin Gabriele Seidel-Hell die Rathauskonzertsaison eröffnet, bleiben keine Wünsche offen.Offensichtlich erfreut durch das Publikumsinteresse im unverständlicherweise nicht ganz ausverkauften Festsaal erläuterte Ingolf Turban bereitwillig, warum das erste Konzert der Jubiläumssaison 2011/12 schon formal einzigartig sei: trete er doch mit seiner heutigen Partnerin zum ersten Mal öffentlich auf.

Gemeint war jedoch nicht seine bewährte Duopartnerin Gabriele Seidel-Hell am Steinway-Flügel, sondern sein neuestes Instrument, eine unter Turbans Händen schon jetzt kokett-eingespielt klingende Violine frisch aus der Werkstatt des nicht nur in Fachkreisen bekannten Geigenbauers Martin Schleske (der sich übrigens ebenfalls unter den Zuhörern befand).

Mit weit ausgreifender Geste wie mit behutsamem Atem gibt Turban den Ton an, dennoch drängt sich seine Geige nie vordergründig solistisch neben Gabriele Seidel-Hells beherztem Zugriff ins Rampenlicht; und so wurde Johannes Brahms’ dritte Violinsonate op. 108 mit ihrem kontrapunktisch dichten Gefüge enorm nuancenreich, klar ausbalanciert gestaltet, voll Temperament und gleichermaßen sensibel. Auf den dramatisch-zerklüfteten Brahms folgte mit der sechsten Valse Caprice aus den „Soirées de Vienne“ noch vor der Pause ein Zugabenstück mit Wiener Akzent. In dieser Liszt-Bearbeitung nach Schubert, die wiederum David Oistrach effektsicher für Violine und Klavier arrangiert hat, ließ Turban vielerlei verschmitztes Spielvergnügen aufblitzen; die Pianistin kann es sich im 3/4-Takt vergleichsweise gemütlich machen, während die fünf Finger des Geigers mit flirrendem Passagenwerk beschäftigt, aber in fast beiläufiger Virtuosität nie überlastet sind. Turban legt hörbar höchsten Wert auf Gesanglichkeit; sein Geigenton bleibt dabei nicht eindimensional bruchlos, wird aber nie rauh.

Nach der Pause folgte als Teil der von Turban neben Bekanntem stets auch geförderten „Entdeckungsliteratur“ Franz Liszts erst posthum aufgeführte Sonate, ein „Duo“ für Violine und Klavier nur dem Namen nach. Der Einschätzung, dieses kammermusikalische Frühwerk sei in klassischerem Stil gehalten als anderes ähnlich um 1835 Entstandenes des Komponisten, kann sich der Rezensent nicht anschließen. In einem Stück voll bewusst gesetzter Kanten und Grate regiert eindeutig das Klavier. Die Geige wird in den vier sämtlich auf ein Chopin’sches Mazurkenthema bezogenen Sätzen häufig reduziert auf Einwürfe, Überleitungen, ja zusätzliche Harmonisierungen. Liszt verweigert der Violine zwar ein längeres Aussingen, konfrontiert sie aber quasi als Ausgleich mit technischen Schwierigkeiten en masse; Gabriele Seidel-Hell meistert die dominante Klavierstimme problemlos und Turban füllt den undankbareren Part hoch engagiert aus, sei es schwungvoll-doppelgriffig oder tonschön selbst in höchster Flageolett-Lage.

Für die Zugabe griff Ingolf Turban auf Publikumswunsch dann noch auf seine Stradivari von 1721 zurück und verlieh mit deren gesangvoll-schmelzendem Ton dem Allegretto-Mittelsatz aus Schumanns a-moll-Sonate so liedhaften wie tänzerischen Ausdruck; mit Verlaub, Herr Liszt, so klingt Musik für die Geige!

Je größere Könner am Werk sind, um so einfacher hört man, wie alles passt, und umso schwerer fällt es gleichzeitig, zu sagen, warum das so ist. Man verzeihe in diesem Sinn das mächtig undifferenzierte Fazit dieses Eröffnungskonzerts: Ach, war das schön!