Ingolstadt
Dealerkarriere aus der Drogentherapie heraus

Ausgerechnet im Bezirkskrankenhaus startet ein 25-Jähriger einen florierenden Handel - und zieht seine Freunde hinein

17.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:06 Uhr

Ingolstadt (DK) Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Da sitzt jemand im sogenannten Maßregelvollzug und muss aufgrund einer Gerichtsentscheidung eine Entzugstherapie in einem Bezirkskrankenhaus hinter sich bringen.

In der geschlossenen Abteilung läuft zunächst offenbar alles halbwegs nach Plan. Doch sobald die Therapie eine Lockerung vorsieht, er aus der geschlossenen Gruppe in eine offene mit mehr Möglichkeiten darf, kommt der Drogenrückfall und es geht sogar in einem ungeahnten Ausmaß los. Während er noch unter eigentlich strenger Kontrolle der Ärzte und des Staates steht, startet der 25-Jährige, um den es hier geht, einen florierenden Drogenhandel; schickt Kuriere mit kiloschweren Paketen herum, in denen sich Marihuana oder Amphetamine befinden - oder Tausende Euro für Lieferanten. Damit der Laden läuft, zieht er noch (mindestens) drei Freunde mit hinein: seine aktuelle Freundin (21), die Ex-Freundin (25) und einen langjährigen Freund (21), die alle in mehr oder minder großem Stil die Drogenfahrten aus den Niederlanden oder dem Rheinland unternommen haben sollen. Dafür müssen sie sich seit gestern vor dem Ingolstädter Landgericht verantworten.

Geht es nach der Staatsanwaltschaft und deren Anklage, dann bildete das Quartett aus dem Raum Ingolstadt im vergangenen Herbst bis zu den Festnahmen kurz vor Weihnachten sogar eine Bande, was strafrechtlich ein schwerwiegender Vorwurf ist. Auf bandenmäßigen Betäubungsmittelhandel steht (für Erwachsene, also ab dem 21. Lebensjahr) eine Mindeststrafe von fünf Jahren Gefängnis. "Das ist ein großes Brett, was hier vorliegt", sagte der Vorsitzende Richter Thomas Denz, dessen 1. Jugendkammer den Fall seit gestern verhandelt. Wenn es sich so bewahrheite, wie in der Anklage aufgeführt, blicke man auf ungefähr 35 Kilogramm Amphetamine (also Speed), 15.000 Ecstasytabletten, mehr als 30 Kilogramm Marihuana und einige Hundert Gramm Kokain. "Sie sollten sich schon sehr ihr Aussageverhalten überlegen", mahnte Denz den Hauptangeklagten. Ein Geständnis, so sagte Denz auch, würde natürlich massiv den Druck von seinen Freunden nehmen, die alle angespannt neben dem 25-Jährigen saßen und ihre Familien im Zuschauerraum wussten. Dass der Angeklagte generell zu den Taten steht, das konnte Denz schon aus im Schnitt wöchentlich 50, aus der Untersuchungshaft verschickten Briefen erkennen, die der Richter im Zuge der Kontrolle der Untersuchungshäftlinge lesen musste.

Nach dem gestrigen Prozessauftakt dürfte nun schon klar sein, dass die Theorie von einer Bande kaum mehr zu halten sein dürfte. Der 25-Jährige übernahm tatsächlich die große Verantwortung. Es seien seine Deals mit seinen Kontakten gewesen. Seinen Freunden schrieb er die Rollen von Kurieren zu, die in der Regel nicht genau wussten, was und wie viel sie transportierten.

Natürlich musste es ihnen auch irgendwann dämmern, dass der Geschäftszweig alles andere als legal war. "Da sitzt jemand im Bezirkskrankenhaus, arbeitet in der Therapie noch bei einem Catering, wo er vielleicht 1200 Euro verdient, und der kutschiert dann 60.000 Euro durch die Weltgeschichte. Wo soll das denn herkommen? ", fragte Denz. Klar, aus Drogenhandel. Mit Kontakten aus Entzugskliniken offenbar.

Dabei ging der 25-Jährige sehr planvoll vor: Er schaffte zum Beispiel extra ein Auto an, dass er dann von einem Kontakt in Rotterdam mit einem Versteckfach ausstatten ließ (Denz: "marokkanische Maßarbeit"). Auch diese Reise in die Niederlande übernahmen seine eigenen Fahrer, denn der Drogendealer selbst musste ja jeden Abend in der stationären Therapie im Bezirkskrankenhaus Parsberg (Kreis Neumarkt) auftauchen. Mehr Zeit in Freiheit erschwindelte er sich, da er der Bezirkseinrichtung offenbar vorgaukelte, er würde immer mit dem Zug die zweieinhalb Stunden von Parsberg zum Cateringunternehmen in Ingolstadt pendeln. Stattdessen holte ihn jeden Tag frühmorgens die (mitangeklagte) Freundin mit dem Auto ab und brachte ihn nachts wieder nach Parsberg - einfache Strecke aber auch gute 60 Kilometer.

Man war erst kurz zuvor zusammengekommen und frisch verliebt. "Ich habe alles für ihn gemacht", sagte die 21-Jährige mit einem entschuldigenden Schulterzucken. Das bezog sich eben auch auf die Verwicklung in das Drogengeschäft, das aus der gemeinsamen Wohnung in Ingolstadt ablief, die der Suchttherapieteilnehmer zahlte.

Müßig zu erwähnen, dass alle Angeklagten eine eigene Drogenkarriere vorweisen können. Ebenso muss man kaum betonten, dass den Richtern die Haare zu Berge standen, als sie von den Machenschaften im Bezirkskrankenhaus hörten. Darüber dürfte noch zu reden sein. Der Prozess wird heute fortgesetzt.

Christian Rehberger