"Das Wichtigste ist viel Verständnis"

Psychologin Karin Hoisl-Schmidt erklärt, wie man am besten mit Impfneid und Corona-Smalltalk umgeht

27.05.2021 | Stand 04.06.2021, 3:33 Uhr
Wenn Menschen dank einer Impfung wieder mehr Freiheiten genießen können, kann das bei Nicht-Geimpften zu Neid führen. Die Psychologin rät, an das Wir-Gefühl zu denken. −Foto: dpa/privat

Pfaffenhofen - Corona ist in diesen Zeiten der Mittelpunkt der wahrscheinlich meisten Gespräche weltweit.

Doch, anders als andere Smalltalk-Themen, sind die Gespräche rund um Pandemie und Erkrankung oft alles anderes als harmlos. In Zeiten, in denen die Impfquote steigt, drängen sich selbst in losen Gesprächen oft Fragen auf, die es zum Teil in sich haben: Warum ist jemand beispielsweise schon geimpft und somit priorisiert, wenn er noch kein bestimmtes Alter erreicht hat? Und wie sollen andere, die noch nicht geimpft sind, damit umgehen, dass sie weniger Freiheiten genießen, vielleicht nur weil sie ohne Vorerkrankungen leben und damit gesund sind? Wir haben darüber mit der Pfaffenhofener Psychologin Karin Hoisl-Schmidt gesprochen.

Die Frage, ob man geimpft oder getestet ist, ersetzt mittlerweile schon fast das Thema Wetter bei jedem Smalltalk. Wie aber damit umgehen, wenn man nicht sagen möchte, ob und wenn ja welche Vorerkrankung einem die Impfung ermöglicht hat? Wie umschifft man solche Fragen höflich aber sicher?
Karin Hoisl-Schmidt: Die Frage ist doch vor allem: Wann und warum fühle ich mich genötigt, auf so etwas zu antworten. Inzwischen kann man sich ja mancherorts auch schon ohne Priorisierung impfen lassen. Deshalb ist es einfach wichtig, für sich selbst eine Grenze zu ziehen: Traue ich mich, mich einfach nicht zu rechtfertigen? Ich brauche da auch gar nicht nervös werden. Es ist meine Entscheidung.

Geimpfte genießen, sobald der Impfschutz vollständig ist, gewisse Vorteile. Andere, die nicht zu Prioritäts-Gruppen gehören, sind noch nicht so weit. Wie geht man am besten mit dem Thema Impfneid um?
Hoisl-Schmidt: Das Wichtigste ist viel Verständnis füreinander. Wir alle haben während der Pandemie auf vieles verzichtet. Und das ist noch nicht vorbei. Wenn man nicht haben kann, was andere haben, gehen trotzdem oft die Emotionen mit einem durch. Man ist erschöpft, am Ende der Selbstdisziplin, kommt an seine Grenzen. Da ist dann ein verständnisvoller Umgang miteinander gefragt. Und es geht um die Frage, was kann ich tun, damit es mir selbst besser geht, damit es mir trotz der Einschränkungen gut geht? Es hat schon einen Grund, dass andere vielleicht besser oder schneller geschützt werden müssen als man selbst, das sollte man sich dann klarmachen. Wir sitzen doch alle in dieser Pandemie in einem Boot.

Ist es überhaupt angebracht, zu fragen, ob jemand schon geimpft ist oder nicht?
Hoisl-Schmidt: Die Frage ist, warum jemand diese Frage überhaupt stellt. Vielleicht ist er selbst noch am Zweifeln, ob er sich impfen lassen will, oder er will den anderen nicht unnötig in Gefahr bringen. Man kann aber doch beschließen: Heute reden wir mal gar nicht über Corona. Man kann das ja erklären, kann sagen, dass man das Thema nicht mehr hören kann. Es gibt doch so viel Schönes neben der Krise, auf das man sich konzentrieren kann.

Wie kann man sich am besten mit dem passiven Warten auf den eigenen Impftermin in womöglich ferner Zukunft arrangieren?
Hoisl-Schmidt: Wichtig ist es in diesem Fall, eben nicht passiv zu sein, sondern anzupacken was man anpacken kann. Man kann sich entscheiden: Man kann jammern, oder man kann sich Glücksmomente schaffen. Man kann doch zum Beispiel ein gutes Essen kochen nach einem Rezept aus einem fernen Land, und sich so an den letzten Urlaub erinnern. Jeder hat in der Hand, in welcher Farbe er sich auch die Coronazeit malt. Darüber kann man jeden Tag neu entscheiden.

Und wie umgeht man Konflikte, wenn manche sich schon, andere sich nicht impfen lassen wollen? Macht es Sinn, zu versuchen, den anderen von der eigenen Meinung zu überzeugen?
Hoisl-Schmidt: Grundsätzlich rate ich in diesem Zusammenhang mal zu Abstand von diesen Social Media-Kriegen. Das bringt nichts, sich da einzumischen, das sind meist Menschen in sogenannten Informations-Blasen, die sich ohnehin nicht auf eine Diskussion einlassen. Wenn es aber um Freunde geht, um die man sich Sorgen macht, ist mein Rat, sachlich zu bleiben bei der Debatte. Man sollte sich aber auch immer fragen, warum man den anderen überhaupt umstimmen will: Ist es aus Sorge um den Menschen oder will man mit seiner eigenen Entscheidung einfach nicht allein dastehen? Wir fühlen uns doch immer besser, wenn ein anderer dasselbe macht wie wir. Aber letzten Endes werden wir immer auf uns selbst zurückgeworfen. Gerade in dieser Pandemie. Da ist ganz zentral die Frage: Wie gestalte ich mein eigenes Leben und was mache ich daraus?

DK

Interview: Karin Seibold