Pfaffenhofen (PK) Tim Heinrichs schaut nach unten. Warum wollte er das nochmal machen? 40 Meter unter dem 19-Jährigen richten rund 5000 Zuschauer ihre Blicke auf ihn. Sie alle sind am Sonntag Nachmittag gekommen, um zu sehen, wie er als erster von drei Slacklinern den Weltrekord in bebautem Gebiet über den Dächern Pfaffenhofens bricht. "Das sind ziemlich viele Leute", sagt er. Seine Beine wirken ein wenig zittrig, als er die ersten Schritte auf der Slackline läuft, der Oberkörper neigt sich zur Seite, die Hände rudern - und er fällt. Einige Zuschauer schreien auf, dann wird es still. Heinrichs rappelt sich auf, läuft weiter, fällt noch einmal. Rappelt sich wieder auf.
Er atmet tief durch, und unter ihm verschwimmen die Zuschauer zu einem bunten Teppich. "Auf einmal hat es Klick gemacht", sagt er später. Er setzt zum dritten Mal an. Von diesem Moment an läuft er die 230 Meter bis zum Weltrekord ohne Zögern, setzt sogar noch 20 Meter drauf und schwingt auf dem Rückweg unter dem Jubel der Massen auf dem Band auf und ab. "Ich musste heulen, als er die letzten Meter schaffte", sagt seine Bekannte Miriam Scholl. "Das war Weltklasse", urteilt der Freisinger Profi-Slackliner Lukas Irmler. Kurz darauf bricht auch er den alten Rekord - dabei wirkt er derart mühelos, als würde er spazieren gehen.
Friedi Kühne aus München schafft die Distanz ebenfalls, einzig Vinzenz Meinersmann aus Niederscheyern versuchte es nicht mehr. Dennoch wird Meinersmann, der die Idee hatte, eine Slackline über Pfaffenhofen zu spannen, den Tag wohl nie vergessen. "Diesen Rekord in unserer Heimat zu brechen - das erfüllt uns mit Stolz." Heinrichs kann seine Leistung noch gar nicht fassen: "Das ist völlig verrückt", sagt er, als er im Kirchturm seine Freunde umarmt. Es ist sein erster großer Auftritt auf dem Band.
Am Samstag habe er sogar noch Höhenangst gehabt, berichtet er. Wobei Angst ihn nie davon abhalte, sich selbst herauszufordern. So verletzte er sich dieses Wochenende am Daumen: "Ich habe einen Handstand beim Skateboardfahren versucht - beides kann ich eigentlich nicht." Aufgeben kommt natürlich nicht infrage. Stattdessen passt er nach dem Sturz eben ein bisschen auf, dass er seinen Daumen beim Hochziehen nicht zu sehr belastet.
Dieser entspannte Pragmatismus scheint die Slackline-Szene, die sich selbst als Familie bezeichnet, insgesamt zu prägen. So brauchen die Trickliner weder Auffangnetz noch Sicherung, lediglich eine Matratze liegt unter dem Band. Heinrichs findet das vollkommen in Ordnung: "Aus Schmerzen lernt man."
Viel gelernt hat in den vergangenen Jahren der Deutsche Meister auf der Trickline. Der 21-jährige Marius Kitowski katapultiert sich selbst vor dem Rathaus immer wieder über die Köpfe der Zuschauer: Saltos, Schrauben und selbst kreierte Tricks mit witzigen Namen stehen auf seinem Programm. Seine Spezialität: Der Frog Arabien. Dabei springt er in die Höhe, landet mit dem Bauch auf dem Band, macht einen Rückwärtssalto mit einer halben Schraube und landet wieder auf dem Hintern.
Nach seiner Show klettert er in der Pause gleich nochmals auf die Slackline. "Das ist normal. Es macht uns einfach Spaß", sagt Heinrichs.
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