stadtgeflüster
Das Verbrechen lauert überall

02.12.2019 | Stand 02.12.2020, 12:28 Uhr

Ältere Mitbürger, die sich noch der kalmierenden Anmutung eines TV-Testbildes aus den sechziger Jahren entsinnen können, fühlen sich heute mitunter durch das pausenlose Krimi-Trommelfeuer in der Glotze etwas überfordert.

Kaum hat die Soko Leipzig ihren Job erledigt, schon ermittelt der coole Hauptkommissar Hanns von Meuffels im nächsten, nicht minder kniffligen Fall. Nichts scheint die Phantasie von Programmmachern und Quotenvolk mehr zu beflügeln als ein gepflegtes Eifersuchtsdrama, das in eine tödliche Messerattacke mündet, oder noch besser ein blutiges Gemetzel unter Mafiakillern im Rotlichtmilieu, bei dem es ordentlich knallt und raucht, damit die Spurensicherung was zu tun hat.
Doch auch wer, angewidert von all der brutalen Banalität, seine Zuflucht in der Kunst sucht, stößt unweigerlich auf Spuren des Verbrechens. Erst unlängst erinnerte DK-Kritiker Jörg Handstein die Ingolstädter Konzertgemeinde bei seiner Würdigung des im Festsaal aufgeführten Händel-Oratoriums "Judas Maccabäus" an die Grausamkeiten der Entstehungsgeschichte: Der Titelheld in biblischer Verkleidung liefert den Stoff für ein großartiges Musikwerk, das eigentlich im England des 18. Jahrhunderts den Herzog von Cumberland - er hatte sich soeben als Kriegsverbrecher hervorgetan - verherrlichen sollte. Der eingängige Chor "See, the conqu'ring hero comes! " hat es, nebenbei bemerkt, zu Händels populärstem Weihnachtshit gebracht, der sicher in irgendeiner überzuckerten Trivialversion auch in der Ingolstädter Christmaslandschaft zu hören sein wird.
In diesem hochkriminellen Zusammenhang verdient auch das Werk des Juristen Ernst von Pidde besondere Erwähnung, der sich die Mühe gemacht hat, Richard Wagners Nibelungen-Tetralogie "im Lichte des deutschen Strafrechts" zu begutachten. Wie von Kennern des schwergewichtigen Vierteilers nicht anders erwartet, stößt der Autor (vermutlich ein Pseudonym) bei Wotan und Konsorten auf eine Vielzahl von Untaten. Mord und Vergewaltigung sind ebenso dabei wie Brandstiftung, Diebstahl, Inzest und Entführung. Nahezu alle Bühnenakteure gehörten eingesperrt - und der Komponist gleich mit, wie mancher Wagner-Verächter wohl anfügen würde.
Sein italienischer Künstlerkollege Carlo Gesualdo (1560-1613), im Hauptberuf Fürst von Venosa, hielt sich nicht lange damit auf, dramatische Musik für Tötungsdelikte zu erfinden, er mordete gleich selber. Der in seiner Ehre gekränkte Edelmann hatte einen Jagdausflug vorgetäuscht, dabei aber schon vermutet, dass seine untreue Gemahlin Maria d'Avalos sich zu einem heimlichen Date mit ihrem Liebhaber Fabrizio Carafa treffen wollte. Die kurzfristige Rückkehr des gehörnten Ehemanns samt Gefolge wurde der Frau und ihrem Lover in flagranti zum Verhängnis. Carlo Gesualdo soll sie mit eigener Hand erstochen haben.

rh